Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934

Schober, der mehrmalige Bundeskanzler, be– fahl Waffengebrauch. 85 Tote (nach anderen Angaben 86: Arbeiter, auch Frauen und Kinder) und 600 Verwundete waren die tra– gische Folge des Aufstandes, der die Schwächen der jungen österreichischen De– mokratie schonungslos offenbarte. Schober hieß auf der Linken fortan "Arbeiter– mörder". (Walter Jambor/G.F. Litschauer in "österreichische Geschichte") Die politische Polarisierung hatte einen Höhepunkt erreicht. Otto Bauer, der Führer der Sozialdemokraten erging sich in ver– balem Radikalismus, in der Praxis aber verhielt es sich eher zögernd und unent– schlossen. Das "bürgerliche" Lagerhin– gegen steuerte eindeutig nach rechts - so sehr, daß sogar der christlich-soziale Kunschak mahnte: Die Heimwehrbewegung nimmt eine Entwicklung, die sie als Gefahr für das parlamentarische System erscheinen läßt . Als die Heimwehren bei den Nationalrats– wahlen vom November 1930 als selbständiger "Heimatblock" kandidierten, wurde ihre Ablehnung der parlamentarischen Demokra– tie schon in der Präambel des Wahlpro– grannns offen ausgesprochen: Wir sind und bleiben Feinde des parteipolitischen Par– lamentarismus , und wenn wir uns heute an den Tisch der Parteien drängen, dann tun wir es nicht, um mit ihnen zu schmausen, sondern um die Tafel aufzuheben. Die Tafel wurde dann auch bald wirklich aufgehoben. Bundeskanzler Dollfuß machte sich 1933 die Tatsache zunutze, daß in einer stürmischen Nationalratssitzung nacheinander alle drei Präsidenten des Nationalrats zurücktraten: Er interpre– tierte das als "Selbstauflösung des Na– tionalrates" und regierte fortan mit Hilfe eines "Kriegswirtschaftlichen Ermächti– gungsgesetzes ". Das war der formelle Be– ginn des Austrofaschismus. Eine der ersten Maßnahmen der nunmehr autoritär herrschenden Regierung Dollfuß war das Verbot des Republikanischen Schutz– bundes. Außenpolitisch war Österreich in diesen Jahren ohnehin schon unter den Einfluß Mussolinis geraten (Demokratien wurden damals zur Mangelware in Europa, die ita– lienischen Faschisten waren schon 1922 an die Macht gekommen, seit Anfang 1933 war Hitler deutscher Reichskanzler, auch Ungarn und Polen wurden autoritär regiert). Innenpolitisch war - neben allen innner schärfer sich abzeichnenden partei- und klassenpolitischen Gegensätzen - das Heer 7 der 600.000 Arbeitslosen das alles beherr– schende Problem. Der Schutzbund soU entwaffnet werden Das Verbot des Republikanischen Schutz– bundes bot den reaktionären Kreisen nun endlich eine "rechtliche" Handhabe dafür, was vorher schon mit Methoden versucht worden war, die sogar formal -rechtli ch an– zweifelbar gewesen waren: Der Schutzbund sollte entwaffnet werden. Eine große Waffensuche hatte es schon am 4. November 1930 gegeben . In der Druckerei des "Steyrer Tagblattes" waren angeblich 251 Gewehre , dazu Munition und Bestand– teile gefunden worden . Um aber diese Aktion gegen den Schutzbund durchführen zu können, hatte man Steyr von der Gendarmerie be– setzen lassen müssen. Jetzt aber, 1933, nach der Aufhebung der Demokratie und dem Schutzbund-Verbot, konnte "offener" und nachdrücklicher ge– gen die "rote Gefahr" vorgegangen werden: Die nun schon dem Bund, d.h. den Austro– faschisten unterstellte Polizei fing an, in Arbeiterwohnungen nach Waffen zu suchen, in sozialistischen Parteilokalen selbst– verständlich, aber auch im Krematorium zum Beispiel. Manfred Brandl schreibt da– zu lakonisch: Rohes Benehmen der Polizei bei der Waffensuche mußte die Verbitterung vermehren. Auch das Bundesheer wurde zur Waffensuche eingesetzt . Ein Mann, der damals als Sol– dat in der Garnison Steyr stationiert war, erzählt in dem von Hackl und mir gestal– teten ORF-Feature, daß weil auch im Volks– kino "rote" Waffen vermutet wurden, Sol– daten im dortigen Keller oft mehrere Ton– nen Kohle umschaufeln mußten. Wenn sie dann rußgeschwärzt in die Kaserne zurück– marschierten, seien sie von den "Roten" ausgelacht, beschimpft und auch bespuckt word en. Waffenversteck des Schutzbundes

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2