Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934

2 in diesem Heft abgedruckt), aber ich muß ihm versprechen, daß niemand erfährt, von wem ich das Foto hab. - Ich vermute ver– schiedene Gründe dafür, warum der alte Mann ein anonymer Kämpfer von damals blei– ben will: Einmal ist Losenstein natürlich kein Ort, wo man "allzu Rote" besonders gern hat (womöglich würden die "schwarzen" Bauern dem alten Mann keinen Most mehr aus – schenken, wenn sie von seiner Ver gangenheit wüßten). Aber das allein ist es nicht. Ich hatte das Gefühl, daß es dem alten Mann - sogar ihm selbst - ein wenig peinlich ist, damals dabei gewesen zu sein. Vielleicht weil der Aufstand eher kläglich gescheitert ist? Vielleicht ~uch, weil die heutige So– zialdemokratie , wie er durchklingen ließ) nicht mehr "seim,", nicht mehr die von da– mals ist? Auf diese Überlegungen ange– sprochen, winkte der alte Mann wieder ab und redete plötzlich von damals wie von einer Juge ndsünde, einer Jugendtorheit. Als wir uns verabschiedeten, bat er noch einmal um Diskretion. Freiheitskampf und Märtyrertod wissen die Österreicher vor allem dann zu schätzen , we nn er im Ausland stattfindet, schreibt die Coudenhove- Kalergi . Und : Es ist schon ein wenig absurd , wenn sich heute all e möglichen Leute für Lech rvalesa begeistern , aber die e igenen Lech Walesas am liebsten diskret in den Hintergrund schieben möchten . Sie vermutet als Ursache dafür eine ur– ös terreichische Haltung : Gar so groß , meint man hierzulande, werden sie schon ni cht ge– wesen sein , die großen Zeiten , di e großen Ereignisse und die großen Persönlichkeiten . Freilich frag t sie auch: Warum eine He lden– tat ni cht e ine Heldentat n ennen? Öster– reichische Schulkinder haben es schwer . Nur mit Mühe k önnen sie in ihren Geschichts – büchern Vorbilder und Helden finden , mit denen sie sich identifizieren können . Öfter hören sie : "Ich bin ein kleins Binker 1 und stell mich ins Winkerl .. . " Die Stadt Steyr war damals nicht nur arm, sondern sensationell arm. Steyr gehört (wa rum eigentlich, das hab ich nie wirklich herausfinden können) zu den eher wenig beachteten Schauplätzen der bürgerkriegsähnlichen Kämpfe vom Februar 34 (auch Barbara Coudenhove-Kalergi nennt im erwähnten "Profil"-Kornmentar Floridsdorf und Ottakring, die Obersteiermark und Linz, nicht aber Steyr). Dabei übertrifft die Heftigkeit der Auseinandersetzungen in Steyr (was etwa die Dauer der Kampfhand- lungen oder die Zahl der Opfer angeht) so– gar noch die in mancher anderen , öfter ge– nannten Stadt. Der Grund für die so außer– gewöhnlich verzweifelten Kämpfe in Steyr liegt vor allem in der selbst für die Zeit der Wirtschaftskrise ungewöhnlichen Not in der Stadt. Aktuelle Bezüge drängen sich da plötzlich auf : Steyr war (was auch heute noch so ist) von dieser einen großen Fabrik ab– häng i g . Und wenn es dem "Werk" schlecht geht , dann geht es allemal der Stadt noch schlechter. Staatliche Hilfsaktionen (auch so vorder gründi ge oder sogar fadenscheinige wie di e unlängst angekündigten) waren in den zwanziger und dreißi ge r Jahren undenk– bar. Die Steyr-Werke standen damals knapp vor dem Ruin . Gerüchte wollten von einem bevorstehenden Verkauf der Steyr-Werke an eine amerikanische Autofirma wissen . Die Zahl der in den Steyr-Werken beschäf– tigten Arbeiter fiel von 8 . 441 im Jahr 1918 zunächst auf 3 . 540 im Jahr 1925, stieg dann bis 1929 noch einmal auf 6 .064 an und e r– reichteAnfang 1933 den Tiefststand von 1. 391. Manfred Brandl schreibt in seiner (üb ri– gens ganz ausgezeichneten) "Neuen Ge– schichte von Steyr": Wenn man sich vor Auge n hält , daß die Steyr-Werke im Jahr 19 29 noch 21 Millionen San Löhnen und Ge– hältern zahlten , 1932 jedoch nur mehr 5 1/2 Million en S , so kennt man eine öko– nomische Wurz el der Entwicklung , die in die Februar - Revolte 1934 einmündete . Die Starit – bevölkerung war verelendet . Ein diszipli – nierter Arbeitslosenaufstand von etwa 3000 Menschen am 2 1.1.1933 demonstrierte "gege n die Hun gerpolitik der bürgerlichen Regierun gsmehrheit im Nationalrat ". Es ist die Meinung mancher Steyrer , daß die Pro– duktion in den Steyr-Werken künstlich ge – drosselt wurde , trotzdem die Nach frage nach Autos nicht so gering gewes e n wäre . Die letztgenannte Vermutung läßt sich na– türlich nicht beweisen, klingt auch ziem– lich unwahrscheinlich. Beweisen läßt sich allerdings, daß der Niedergang der Steyr– Werke mit der Waffenproduktion zu tun hat (wi e ja auch die derzeitige Krise vom Steyr– Werke-Management ge rn damit begründet wird , daß man ihm Beschränkungen im Waffen-Export auferlegt) : Die von Werndl einmal als "bedeutendstes Waffen- Etablissement" be– zeichnete Fabrik durfte nach dem Ersten Weltkrieg, genauer nach dem Frieden von Saint Germain, keine Waffen mehr erzeugen. Brandl beschreibt die Folgen mit dem lapi– daren Satz: Nun begannen zwei karge , ja

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