Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934
Mehrere Schutzbundführer (vor allem solche, die den Kampf organisiert hatten und daher mit einem standgerichtlichen Todesurteil rechnen mußten) flohen. August Moser konnte in die Tschechoslowakei gelangen , einige andere auch, von denen - soweit mir bekannt ist - wenigstens einer in die Sowjetunion weiterzog - und von dort nach dem Krieg auch wieder zurückkam (was so selbstver– ständlich nicht ist, da ein erheblicher Teil der österreichischen Schutzbündler, die in die Sowjetunion geflohen waren, dort dem Stalinismus zum Opfer fielen). Der Gemeinderat Franz Schrangl ist einer von denen, die ihr _ Leben der Besonnenheit des Kreisgerichtspräsidenten Ganzwohl zu verdanken haben. Er war gemeinsam mit Josef Ahrer vors Standgericht gestellt wor– den, Dr. Ganzwohl schied seinen Fall aber aus der Verhandlung aus. Am 15. März 1934 wurde beim Schwurgericht Linz gegen folgende Steyrer Schutzbündler verhandelt: Franz Schrangl, Franz Sichl– rader, Ferdinand Mayrhofer, Karl Wipp– linger, Emme rich Schopper und Jose f Da– schill. Drei der Angeklagten wurden frei– gesprochen, nämlich Daschill, Schopper und Mayerhofer (der ja tatsächlich im wahr– sten Sinn des Wortes nix getan hatte, son– dern sich zu Hause verhaften ließ) . Sichl– rader, Wipplinger und Schrangl wurden ver– urteilt - zu 10, 12 und 14 Monaten. Alle anderen Gefangenen wurden nach und nach - oft allerdings erst nach Wochen oder Monaten wieder freigelassen . Das Leben in Steyr "normalisierte" sich all– mählich wieder, und die Leute hatten was zum Schauen. "Gemma zerschossene Arbeiter– häuser schaun!" Die "Steyrer Zeitung" be– richtete darüber: Der gestrige Sonntag wur– de vor allem von der Bewohnerschaft der Um– gebung Steyrs zu einem Besuch benützt, wo man in erster Linie den Kampfplatz, die Ennsleite, besichtigte. Auf der Ennsleite war manchmal alles schwarz von Menschen; auch die Steyrer selbst begaben sich, soweit sie dazu noch nicht in die Lage gekommen waren, auf die Ennsleite, um die Schäden zu besichtigen. Sehr angenehm wurde empfunden, daß die Verfügung des Standrechts über die Sperre der Gasthäuser ab Sonntag bereits gelockert und bis 10 Uhr erstreckt wurde . Die Gasthäuser waren von Auswärtigen und Einheimischen sehr gut besucht . Der völlige Zerfall der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) schreitet nun rasch voran, die Partei wird verboten, kleine Tei– le des ehemaligen Schutzbundes treten zur Kommunistischen Partei über (in der sie die nun einzige Kraft gegen den Heimwehr- wie 23 vor allem auch gegen den Nazi-Faschismus sehen), ein größerer Teil aber geht (was sich teilweise ja früher schon angekündigt hatte) zu den Nazis. Die Gründe dafür sind mannigfach, schreibt der Historiker Josef Weidenholzer . Sje sind einmal ideologischer Natur . Bei den radikalen im Schutzbund über– wogen aktionistische Vorstellungen, die höchstens durch marxistisches Pathos ver– brämt waren. Parolen, wie sie für den "lin– ken" Flügel der NSDAP bei den Formationen der SA charakteristisch waren, konnten man– gels ideologischer Fundierung leicht Ver– wirrung stiften . schließlich ist auch an das gänzliche Unvermögen des christlichen Stän– destaats zu erinnern , mit den Problemen der Arbeitsbeschaffung nur annähernd zu Rande zu kommen . Die exorbitante Zahl von Arbeitslosen hat gerade in Oberösterreich dazu verleitet , in das benachbarte Bayern zu blicken, wo solche Dinge unbekannt waren. Die Erfahrung der brutalen Niederwerfung der Aufständischen im Februar 1934 und die kleinliche Reaktion der ständestaatlichen Behörden gegenüber der illegalen Arbeiter– bewegung haben in vielen den Willen ver– stärkt, jeden zu unterstützen, der dieses Regime beseitigen wollte. Und genau das wollten die Nazis, und sie er– reichten es auch. Vier Jahre nach dem Februar 1934 marschier– ten deutsche Truppen in Österreich ein, und in einem Lagebericht des Gendarmeriepostens Steyr hieß es dann: Im allgemeinen herrscht eine unbeschreibliche Begeisterung über das Geschehene . Frohe Gesichter, Zuversicht und Hoffnung für eine gute Zukunft sind an der Tagesordnung . Noch einmal vier Monate später hieß es dann in einem Schreiben der Gestapo Linz an das Gestapo-Hauptquartier in Berlin : Im allge– meinen kann gesagt werden, daß der Verdacht umfangreicher kommunistischer Umtriebe in Steyr zu einem großen Teil auf Gerüchte zu– rückzuführen ist . Bei einem Teil der Arbei– ter kann festgestellt werden, daß sie sich von den Zielen der NSDAP zwar noch nicht überzeugt haben, aber zufrieden sind, daß sie in Arbeit und Brot stehen . +
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