Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934

20 Hoch lebe die Internationale! Danach ham s'n aufghängt. - Heut is mir no load um den Buam! So tragisch auch Ahrers Tat und das gegen ihn verhängte Standgerichtsurteil immer waren: Das Todesurteil gegen Ahrer rettete anderen Schutzbundmitgliedern das Leben. Ein Mann, der nicht genannt werden will, hat mir aus eigener naher Kenntnis Details vom damaligen Standgericht erzählt. Er schildert den damaligen Gerichtspräsiden– ten Dr. Ganzwohl, der die Verhandlung ge– gen Ahrer geleitet hat, als einen sehr be– sonnenen Mann, dem das Standrecht äußerst zuwider gewesen sei. Er habe es aber an– wenden müssen, und so habe er wohl gegen den einen standrechtlich verhandelt, bei dem es sich nach seiner Sicht der Dinge um einen kriminellen Akt, jedenfalls aber um eine über die "normalen" Kampfhand– lungen hinausgehende Tat gehandelt hat; für die anderen, die "nur-politischen" Angeklagten und zu ihren Gunsten habe er aber eine Bestimmung des Standrechts aus– genützt, wonach ein Standgerichtsverfahren innerhalb von drei Tagen abgeführt werden mußte, nachher war ein ordentliches Ge– richt zuständig . Die Verhandlung gegen Ahrer habe aber bis Samstagabend gedauert, so hätte erst am Montag gegen die ande– ren Angeklagten verhandelt werden können, da war dann aber die Drei-Tage-Frist schon verstrichen. Einer ganzen Reihe von Schutzbündlern, die später in Linz zu Gefängnisstrafen ver– urteilt wurden, scheint Dr. Ganzwohl mit dieser Taktik das Leben gerettet zu haben. Um zu verstehen, was das bedeutet, muß man sich vor Augen halten, wie rigoros das Standrecht zum Teil anderswo gehand– habt wurde. In Wien etwa wurde sogar ein Verwundeter, nämlich Münichreiter, unter den Galgen geschleppt, angeblich sogar auf einer Bahre liegend. Auch ein anderes Detail zeigt die Stimmung, die damals geherrscht hat, ein Detail aus der Steiermark: Der Mann, der Koloman Wal– lisch gehenkt hat, soll danach gesagt ha– ben: Bei Ihnen, Herr Wallisch, war's mir ein besonderes Vergnügen. Besonderes Feingefühl war freilich auch in Steyr nicht bei allen festzustellen: Ahrers Henker, ein gewisser Wurm, sollte wenig später einen Posten ausgerechnet in den Steyr-Werken erhalten. In der (damals schon in der Tschechoslo– wakei erscheinenden)"Arbeiterzeitung" vom 24.6 .1934 heißt es: Die Arbeiter von Steyr haben nicht nur in den Februartagen helden- haft gekämpft . Auch unter der faschisti– schen Diktatur verstehen sie es , sich zu wehren . Dreimal schon ist es seit dem Fe – bruar in der Autofabrik Steyr zu erfolg– reichen Kämpfen gekommen . Das erstemal, als die Autofabrik verhalten werden sollte, den Schurken Wurm, der unseren Genossen Ahrer gehenkt hat, als Arbeiter in die Fabrik ein– zustellen . ( ... )Die Arbeiter der Autofabrik haben die Zumutung abgelehnt, mit dem Schuft, der ihren Helden gehenkt hat , zu– sammen zu arbeiten ; die Direktion mußte den Behörden mitteilen , daß sie den Widerstand der Arbeiter nicht zu brechen vermöge und daher auf Einstellung des Henkers verzichtet werden müsse. Daraus entstand ein Konflikt zwischen dem Direktor Englisch und den Be– hörden, der schließlich dazu führte, daß Englisch verhaftet wurde( ... ) Zwischendurch noch einmal Grundsätzliches Während ich diesen Aufsatz schreibe , bricht eine Lawine von Kommentaren zum 34er-Jahr über Österreich herein . Manches Informative ist darunter, aber sehr häufig wird nur heiße Luft abgelassen. Immer wieder höre und lese ich die alten Phrasen, daß das damals ein "nationales Un– glück", eine "nationale Katastrophe" ge– wesen sei - ganz so, als sei da wirklich "durch eine schicksalhafte Verkettung von Ereignissen" eine Art Naturgewalt über Österreich hereingebrochen, gegen die man sich nicht hätte wehren können. Motto : In Wirklichkeit ist ja niemand von uns schuld daran, die Zeiten waren's, ach ja, die graus– lichen Zeiten . Und immer wieder auch die Warnung, nur Ja keine alten Gräben aufzureissen . - Aus ande– ren Gründen als diese "Warner" bin ich auch der Meinung, daß man die Gräben besser nicht wieder aufreißt: Da wurden nämlich Leichen hineingeworfen in diese Gräben, ehe man sie zugeschüttet hat. Das Wort vom Gräben zuschütten ist übrigens 1945 entstanden: Nach den Erfahrungen mit dem Hitler-Faschismus war man bereit, den früheren hausgemachten Faschismus wenn schon nicht zu vergessen, so doch für vergleichs– weise harmlos zu halten (nicht bedenkend, daß ein Verbrechen dadurch nicht kleiner wird, daß es noch schlimmere Verbrechen gibt). Sieger und Besiegte des Jahres 1934 konnten und mußten sich 1945 als Opfer des National– sozialismus fühlen (auch jene, die mit den Nazis mitgelaufen sind, fühlten sich damals bald als Opfer). "Rot" und "Schwarz" mußten

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