Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934

in der Absicht, Zehetner und Nagelseder zu töten, getan, sondern blindlings geschossen zu haben. Seine Verantwortung ist aber durch die Aussagen der oben genannten Zeu– gen widerlegt, die auch die Aussage des Zeugen Steindl in keiner Weise entkräftet worden sind. Der Beschuldigte hat aus nächster Nähe aus erhobener Armee-Repetier– Pistole beträchtlichen Kalibers (8 oder 9 mm) gegen Brust und Unterleib, somit le– benswichtige Organe von Menschen Schüsse ab– gefeuert, so daß in der Tötungsabsicht ein Zweifel nicht bestehen kann . . . In diesem Zusammenhang muß erläutert werden : Der getötete Johann Zehetner war Heimwehr– mann, von ihm und der Josefine Nagelseder wurde und wird als vom "Heimwehrbrautpaar" gesprochen. Als am 12 . gegen Mittag klar wurde, daß es zu Kämpfen kommen würde, da wurden - was in einer solchen Situation ver– ständlich und wohl auch üblich ist - Per– sonen, die auf der Ennsleite wohnten und von denen man wußte, daß sie dem anderen Lager angehörten, "interniert" - und zwar im sozialistischen Kinderheim. Die Tötung des Johann Zehetner und der Josefine Nagels– eder steht - wovon nur selten gesprochen wird - ganz offensichtlich im Zusammenhang mit diesen Internierungsaktionen . Das erklärt, warum das alles - wie von kon– servativer Seite immer wieder anklagend betont wird - noch vor dem Ausbruch der wirklichen Kampfhandlungen geschehen ist. Es erklärt, entschuldigt vor allem nicht, daß zwei Menschen getötet wurden oder gar - kampfnotwendig - hätten getötet werden müs– sen . Ich habe mit vielen Menschen über den Fall Ahrer gesprochen und mir - abseits aller parteipolitischer Interpretationen - ein (mein) Urteil gebildet: Unzweifelhaft scheint (auch wenn manche anderen Beha'up– tungen umlaufen) mir, daß Ahrer die beiden Menschen erschossen hat. Und zwar nicht im Kampf erschossen hat. Ahrer mußte das Braut– paar gut gekannt haben, er wohnte schließ– lich im selben Haus . Für sehr wahrschein– lich halte ich es, daß Ahrer die beiden im Zuge der durchaus notwendigen Internie– rungsaktion in deren Wohnung aufgesucht hat . Denkbar wäre, daß Ahrer die Ausnahmesitua– tion dafür benützt hat, eine private Ange– legenheit "mit der Pistole zu erledigen", dafür gibt es aber kaum Hinweise . Mir per– sönlich erscheint die Tat noch am ehesten als eine tlberreaktion , als eine Art Kampf– psychose noch vor dem Kampf . Der jahrelang aufgestaute Haß ( den es ja tatsächlich auf beiden Seiten gab) könnte in dem Augenblick , 19 da es nun offensichtlich endlich losging , durchgebrochen sein. Beide Seiten hatten ja schon lange darauf gewartet , daß es den anderen endlich an den Kragen gehe , nun schien es so weit, und vielleicht hat Ahrer sich an die "Nächstliegenden" gehalten - und geschossen. Wozu keine Notwendigkeit bestand und was aus der verhetzten Stimmung dieser Jahre heraus erklärbar , aber nicht zu entschuldigen ist. Ahrers Rechtsanwalt , der sozialdemokratische Gemeinderat Dr . Schneeweiß, hat für seinen Mandanten die Tat an sich nicht bestritten, aber statt auf Mord auf Totschlag (wofür ich es selber auch halte) und auf Hochverrat plädiert . Wäre er damit durchgekommen, so hätte das bedeutet , daß Ahrer statt vors Standgericht vor ein ordentliches Gericht gestellt worden wäre . Am Samstag , dem 17. Februar 1934, wurde aber gegen 20 Uhr 30 das Standgerichtsurteil be– kanntgegeben : Schuldig des zweifachen Mordes, Tod durch Erhängen. Ahrer hat darauf gesagt : Ich bin kein Mör– der, ich bin nur ein politischer Kämpfer ge– wesen . Die 11 Steyrer Zeitung" wußte damals von den letzten Stunden Ahrers zu berichten : Die Henkersmahlzeit bestand aus einem Schweins– ·schni tzel und zwei Flaschen Bier. Der De– linquent, welche h . a. als äußerst radikaler Schutzbündler bekannt ist , verzehrte es mit allem Appetit und rauchte bis zum Ablauf der dreistündigen Frist. Geistlichen Bei– stand lehnte er ab, obwohl ihm der Gefange– nenhausseelsorger in gütigen Worten zu– sprach. Um 23 Uhr 28 Minuten wurde die Exe– kution von einem Landwirt, der sich freiwil– lig aus Scharfrichter gemeldet hatte, voll– zogen. Es läutete die Armesünderglocke. Ohne jedes Zeichen von Erregung trat der Delinquent unter den Galgen. Der Gerichts– arzt stellte um 23 Uhr 45 Minuten den Ein– tritt des Todes fest. Einer der von mir interviewten Augenzeugen, der schon mehrfach erwähnte Schutzbund– führer aus Neuzeug, saß zu dieser Zeit im Gefangenenhaus in der Berggasse, in dessen Hof Ahrer gehenkt wurde . Plötzlich seien, erzählt er, zwei Soldaten mit aufgepflanz– ten Bajonetten vor den Zellentüren erschie– nen. Sie hätta:tbefohlen , daß die Fenster ge– schlossen gehalten werden müßten, und die Häftlinge hätten sich auf die Pritschen zu legen . So habe er nur hören können, was unten im Hof geschehen sei. Zum Pfaffen habe Ahrer gesagt: Wenn ' s anders kommen wär , wärn vielleicht Sie der erst gwesn, so bin's halt i. Dann habe Ahrer noch gesagt :

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