Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934
stört werden, was ihnen zu einem Symbol da– für geworden war, was sie in den letzten Jahrzehnten trotz allem an sozialem Fort– schritt doch schon erreicht hatten. Oft wurde und wird behauptet, das Bundes– heer habe, um nicht allzu großen Schaden anzurichten, die Zünder aus den Geschoßen entfernt. Ich habe auch Leute getroffen , die meinten, das Heer habe überhaupt nicht mit Feldhaubitzen, nur mit Minenwerfern ge– schossen. Die Toten auf der Ennsleite (Karl Havlicek zum Beispiel soll, weil er krank war, im Bett getötet worden sein) und die völlig zerstörten Arbeiterwohnungen sprechen freilich eine andere Sprache. Immer noch fühlte sich die Exekutive aber nicht stark genug f ür einen Sturmangrif f auf die Ennsleite. Verstärkung war f reilich auch aus Stockerau schon auf dem Weg . Ein heute pensionierter Bundesheer-Oberst, der damals als 17jähriger Rekrut bei der Stockerauer Einheit war, hat mir von seinem Einsatz erzählt: Niemand - außer den Of f i– zieren - habe gewußt, wohin es eigentlich gehe. Der Alarm sei so überraschend gekom– men , daß man auch Ausbildner, die schon lange keinen Wagen mehr ge lenkt hätten, als LKW-Fahrer habe einsetzen müssen. Schon bald habe es dann auch einen ersten Unfall gegeben: einer der mit Soldaten vollgela– denen Lastwagen sei von der Straße abgekom– men: ein Toter. Den Weg von Enns (wo man ein Frühstück bekommen habe) bis Steyr habe man dann zu Fuß zurücklegen müssen. In Steyr dann blankes Entsetzen: Da wird ja geschossen ! Viele Soldaten, vor allem auch Altgediente, haben sich angeblich weigern wollen, an den Kämpfen teilzunehmen: Des tua i net! I kann doch net auf die eigenen Leut schiaßn! Schließlich habe sich aber doch die Meinung durchgesetzt, daß gekämpft werden müsse . schließlich samma ja dazu da, schließlich werdn wir ja dafür bezahlt . Und überhaupt, Befehlen muß gehorcht werden, das ist halt so. Gegen ein Uhr zu Mittag ist das "Feldjäger– bataillon zu Rad Nr. 3" aus Stockerau in Steyr eingetroffen, damit war endgültig klar, wie das alles ausgehen würde. Oberst Adolf Bleyer, der Konnnandant der Stockerauer Einheit (12 Offiziere, 185 Mann, 6 schwere und 7 leichte MGs), war nun der ranghöchste Offizier in Steyr und über– nahm folglich den Befehl auch über die anderen Bundesheereinheiten. Von Niederösterreich her waren auch Heim– wehrverbände in Richtung Steyr unterwegs. Die waren aber schon sehr erschöpft, als sie in Haag, in der Nähe von Steyr,ankamen , 15 daher beschloß Oberst Bleyer, den Sturm auf die Ennsleite ohne die Heimatschützer zu unternehmen. - Oberst Bleyer organisierte den Angriff ganz neu ... , schreibt Belinda Weidinger. - Die weiteren militärischen De– tails will ich mir aber ersparen. Auf der Ennsleite war die Munition in ein– zelnen Abschnitten längst knapp geworden. Vereinzelt wurden auch schon weiße Fahnen gehißt. Um drei am Nachmittag sagte der Betriebsratsobmann August Moser seinen Män– nern, daß der Kampf endgültig aufgegeben werden müsse. Waffen unbrauchbar machen und wegwerfen, dann abhaun! Wer erwischt wird, soll alles abstreiten und die Gefal– lenen belasten, denen tut's nimmer weh. Um halb fünf Uhr nachmittags war der Wider– stand weitgehend gebrochen . Militär, Bundes– polizei und Schutzkorps konnten auf die Ennsleite marschieren, wo die Straßen zum Teil im Nahkampf genommen wurden, der Schutzbund mit Gewehr und Bajonett zusam– mengedrängt wurde. (Brandl) Jetzt werdn s' uns alle derschiaßn , hat nach Aussage des "irrtümlich" auf der Enns– leite weilenden Arbeitslosen ein alter Mann befürchtet, der obwohl er ebenfalls an den Kämpfen nicht teilgenommen hatte, auch ge– fangen genommen worden war. Aber woher denn! hat da der damals junge Arbeitslose immer wieder gesagt , auch um sich selber Mut zu machen. Alle kennan s' uns doch net der~ schiaßn ! Womit er recht hatte, denn es waren immerhin 800 Menschen, die man gefangenge– nonnnen hatte. Ganz so unbegründet war die Angst der alten Mannes freilich auch nicht gewesen, denn Heimwehrleute sollen etliche Schutzbündler in der Absicht weggebracht haben, sie am nächsten Baum aufzuknüpfen, was angeblich erst im letzten Augenblick verhindert hatte werden können. Größere Heimwehrverbände waren - über Klein– aber-mein herunter - gerade noch rechtzeitig eingetroffen. Nicht rechtzeitig, um noch wirklich mitzukämpfen, aber rechtzeitig zum Säubern. Der Mann, der als 17jähriger Rekrut an den Kämpfen teil genommen hat, behauptete mir gegenüber, daß das Bundesheer an den Ge– fangennahmen auf der Ennsleite überhaupt nicht teilgenommen habe . Oberst Bleyer habe damit nichts mehr zu tun haben wollen, die– ses "schmutzige Geschäft" vielmehr der Po– lizei und den Heimatschutzverbänden über– lassen. In dieser Rigorosität stimmt das ganz sicher nicht, doch gibt es Hinweise dafür, daß Bleyer tatsächlich wenigstens seine Stockerauer aus dem heraushielt, was
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