Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934

Der 13. Februar: Das Bundesheer wird verstärkt, und die Heimwehr kann ans Säubern gehen Die vom Steyrer Kornmandanten aus Enns ange– forderten Truppen setzten sich noch am Mon– tag, gegen halb vier am Nachmittag , in Be– wegung . Die Feldhaubitzenbatterie 2 der Brigadeabteilung 4 unter Major Franz Somogyi mit 30 Offizieren , 70 Mann , 35 Pferden , 2 Ge– schützen und 2 Maschinengewehren , und das Dragonerschwadron Nr . 4 unter Major Karl Zehner mit 20 Offizieren und 30 Mann , weiß Belinda Weidinger in ihrer Hausarbeit zu berichten. Da das Bundesheer nur sehr dürf– tig motorisiert war , gestaltete sich das Vorwärtskommen allgemein als sehr schwierig . Dazu kam noch , daß der 12. Februar ein sehr kalter Tag war, alle Straßen waren vereist . Darum kamen die Verstärkungseinheiten recht mühsam voran . Beim Sturz eines Rosses brach sich ein Soldat sogar den Unterschenkel , da – her wurde die Strecke zu Fuß fortgesetzt. Durch diese Schwierigkeiten gelangten sie erst um 20 Uhr 30 nach Steyr . unterwegs wurden sie von niemandem aufgehalten , da sie durch ländliches Gebiet zogen und direkt auf dem Tabor einlangten . Es war , so scheint es , eine Beinbruch-Nacht, denn die Steyrer- Zeitung berichtet von einem Schutzkorpsmann, der beim Hauptpostamt Posten gestanden hatte, auf dem Glatteis ausgerutscht war und sich - na eben - auch ein Bein gebrochen hatte. Übergangs -, so– gar absatzlos folgt diesem Bericht die Mel– dung, daß die Verstärkung des Bundesheeres aus Enns eingetroffen sei. Und dann heißt es: Gegen zwei Uhr morgens bezog die Artil– lerie auf dem Tabor Stellung . Gegen halb drei wurde die Ennsleite dann mit einem Artillerie-Geschütz beschossen. I liag net , erzählt jener unpolitische Arbeitslose von damals, der unfreiwillig auf der Ennsleite bleiben mußte, i liag net, mi hat ' s beim ersten Schuß an halbn Meter hoch ghobn im Bett . Ein unbeschreib– liches Durcheinander sei die Folge gewesen, Frauen und Kinder hätten ge~eint, alles sei in die Keller gerannt. Nach wenigen (sechs ist die meistgenannte Zahl) Schüssen ist das Artilleriefeuer dann wieder eingestellt worden . (Jener schon erwähnte Schutzbundführer aus Neuzeug widerspricht der Behauptung, es sei– en von vornherein nur ein paar "Warn– schüsse", ein kurzes Störfeuer geplant ge– wesen. Seiner Erinnerung zufolge habe das Bundesheer die Geschützstellung beim Tabor- 13 turm des heftigen Maschinengewehrfeuers von der Ennsleite her wegen nicht halten können, und das Geschütz habe mit einem Strick aus der Reichweite der Schutzbund– MGs gezogen werden müssen.) Am Morgen des 13. Februars, gl aubt ein anderer Augenzeuge von damals sich zu er– innern, sei den Schutzbündlern auf der Ennsleite telefonisch ein Ultimatum ge– stellt worden: Kapitulation - oder die Ennsleite würde dem Erdboden gle ichgemach t. Falls es dieses Ultimatum in dies er Form wirkl ich gab, so wurde es nicht angenommen. Der Artilleriebeschuß jedenfalls ging weiter , von einem am Posthof postierten Geschütz wurden zwischen acht und halb zehn am Vormittag - angeblich genau zwölf - Schüs se gegen die MG-Stellungen in den vorderen Ennsleitenhäusern abgegeben . Gegen zehn Uhr wollte das Bundesheer noch einmal (wie schon in der Nacht) ein Ge– schütz beim Taborturm in Stellung bringen. Schutzbund-Feuer von der Ennsleite (und auch von der Industriestraße her) hinderte sie eine ganze Weile daran (was für die Theorie spricht, daß man auch in der Nacht nicht freiwillig von dort abgezogen ist) . Erst nach Feuerschutz vom Posthof- Geschütz (zehn Schüsse) und der Beschießung der Ennsleitenhäuser durch ein Bundesheer– Maschinengewehr vom Tabor aus konnte das Geschütz am Tabor in Stellung gebracht werden, schreibt st- fünfzig Jahre später . d "S in er teyrer Zeitung". Von zu Mittag an konnte die Ennsleite je– denfalls mit zwei Artilleriegeschützen be– schossen werden . Hier ist eine kurze Unterb rechung des "Ge– fechtsberichtes", ein kurzes Innehalten vonnöten: Die Beschießung von Arbeiterwohn– häusern durch Artillerie - das sind mit j 7 ne Trauma~a aus diesem Bürgerkrieg, die bis heute nicht verheilt sind . Um das ganz ~u verstehen, muß man mitdenken, daß gerade Jene Wohnanlagen, die damals be- und zer– schossen wurden (die Gemeindebauten wie der Karl-Marx-Hof in Wien oder eben die - übri– gens heute erst langsam in ihrer architek– tonischen Bedeutung gewürdi gten - Arbe i ter– wohnhäuser auf der Ennsleite) , daß diese Wohnanlagen in den dreißiger Jahren fast weltweit als bedeutende soziale Errungen– schaft galten, damit der Stolz der Arbeiter– schaft waren . Neben allen "militärischen Notwendigkeiten" scheint - dafür gibt es mancherlei Hinweise - das bei der Entschei– dung für den Artilleriebeschuß mitgespielt zu haben : Den Arbeitern sollte etwas zer-

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