Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934

12 Schloß Lamberg, auf den Stadtplatz ... Der Mann weiß, was das bedeutet. Er trommelt seine Kameraden zusammen, rät ihnen, rasch noch zu essen und dann zu ihren Schutzbund– Treffpunkten zu verschwinden. Ein Schutzbündler aus Neuzeug ist schon im Jahr 1933 zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt worden, weil man bei ihm zu Hause Waffen gefunden hat, er hat aber um Strafaufschub angesucht. Im Februar 1934 erhält er vom Gericht einen Brief, daß er und die mit ihm verurteilten Genossen die Strafe nun endlich anzutreten hätten. Das nehmen sie sich denn auch für den 12. vor - weil das ein Montag ist. Gemeinsam gehen sie zu Fuß hinein nach Steyr. Und da hamma nu davon gredt , was des für a seltsamer Tag is , irgendwie war alls net so, wias sein soll. Beim Zigeunerberg begegnet ihnen die Schwägerin des einen, die fährt auf dem Fahrrad stadtauswärts. Wo geht ' s denn hin? fragt sie, und i sag: Ja, mir miassn do de Straf antreten . Da sagt sie: Ja, wißts denn des net, in Steyr drin schiaßn s' ja schon alt und neich. Da samma auf der Straßn stehn bliebn und ham halt Rat geschlagn . Na, und dann samma halt wieda hoamganga , habn unsere Waffen, die ma nu ghabt habn,gholt , habn unsere Leit ver– ständigtund san dann wieder einemarschiert nach Steyr . Bei der Neustraßn hamma dann den Annaberg abgsperrt , daß da koan Heimwehr einikimmt in die Stadt. Ein anderer, der in der Neustraße dabei war, schwärmt heute noch davon, wie die Schutz– bündler von den in der Neustraße wohnenden Arbeitern verpflegt wurden : Wurstbrote habn s' uns hergricht , obwohl s ' eh selber nix ghabt habn, des hoaßt , a Knackwurscht halt a weng aufgschnittn. Er selber ist damals mit desolatem Schuhwerk in den Kampf gezogen, das hat ihm eine Frau in der Neu– straße notdürftig repariert. Als eine Bundesheerkompanie durch die Gleinkergasse marschiert, um den Stadtplatz zu besetzen, da wird sie von den Fenstern aus beschimpft und mit Abfällen, Steinen, Blumenvasen beworfen. Auch heißes Wasser wird auf die Soldaten hinuntergeschüttet. Da is dann der Befehl kommen: Schießn auf jeden, der sich am Fenster zeigt. Ein Arbeitsloser gerät zufällig auf eine Seite, mit der er gar nichts zu tun haben will. Er ist, weil er eben gar nichts hat, jeden Montag bei einer Eisenbahnerfamilie auf der Ennsleite zum Essen eingeladen. Als er an diesem einen Montag die Damberggasse hinaufgeht, fällt ihm auf, daß die Arbeiter viel früher als sonst das Werk verlassen. Kaum sitzt er dann am Mittagstisch, da geht die Schießerei draußen schon los. Nach dem Essen will er zurück auf den Wieser– feldplatz,wo er wohnt. Aber eine Postenkette von Schutzbündlern läßt ihn nicht über die Ennsleitenstiege hinunter. Schließlich ge– rät er, weil er einen Hut mit einer Feder drauf trägt, sogar in den Verdacht, ein Hahnenschwanzler zu sein. I war aber nia nirgends dabei. Seine Gastgeber verbürgen sich für ihn, aber er muß auf der Ennsleite bleiben, wird später sogar mit den Schutz– bündlern gemeinsam verhaftet. Ein legendär gewordener Briefträger wird am Montag gewarnt davor, auf die Ennsleite zu gehen , die halt sein Rayon ist. Die da oben, sagt man ihm, die schießen auf alles, was eine Uniform anhat. Nicht auf mich! sagt der Briefträger, mich kennt da oben jeder, und er trägt seine Post auf der Ennsleite aus wie auch sonst. Der Arbeiterberg, einer der Zufahrtswege zur Ennsleite, soll verbarrikadiert werden. Ein paar Arbeiter wollen zu diesem Zweck drei Obstbäume urnschneiden, die aber so nahe an der Kante des Ennsleiten-Plateaus stehen, daß man in die Schußlinie der Bundes– heermaschinengewehre gerät, wenn man sich ihnen nähert. Also kriechen die Arbeiter auf allen vieren nach vorne und schneiden - auf dem Bauch liegend - die Bäume um. Am Montaeabend kommt August Moser in Beglei– tung eines Genossen heim, um zu essen und eine halbe Stunde auszurasten. Seine Tochter gibt ihm ein Paar Handschuhe, die sie in der Schule gestrickt hat, mit, damit der Vater nicht friert in der Nacht, die bitter kalt zu werden verspricht. Die Schubertstraße liegt im Feuerbereich des auf dem Schloß-Lamberg-Turm postierten Ma– schinengewehrs, und einen Schutzbündler hat's schon erwischt : Durchschuß mit Rücken– marksverletzung . Man bringt ihn heim in seine Wohnung in der Viktor-Adler-Straße, und er klagt immer, daß ihm so kalt ist. Zwei, drei Tuchenten , die man auf ihn legt, wärmen.ihn auch nicht . Ein paar Monate spä– ter stirbt er an seiner Verletzung . Eine Anekdote noch, die mehr ist als eine Anekdoten und auch der Entwicklung ein wenig vorausgreift : Als alles schon fast vorbei ist (die Kämpfe wenigstens, denn für viele kounnt noch viel Schlimmes nach), da steht ein schwerhöriger Mann an einem offenen Fenster und rasiert sich. Ein Heimwehrmann geht draußen vorbei, ruft hinein, das Fenster müsse geschlossen werden. Der Schwer– hörige versteht das nicht - und wird er– schossen.

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