Steyrer Tagebuch - Sondernummer zum 12. Februar 1934
8 Die Steyrer Sozialdemokraten reagierten - wie die gesamtösterreichischen auch - ab– wartend auf den Sturz der Demokratie, ein– mal mehr zögernd und unentschlossen. Im Steyrer Gemeinderat wurde ein wenig pro– testiert, ini "Steyrer Tagblatt" wurde nach der bekanntgewordenen Auflösung des Schutz– bundes ein Aufruf des Parteivorstandes ver– öffent:licht, dermalen unbedingt Ruhe und Disziplin zu bewahren. Viele, vor allem junge Sozialdemokraten waren der Meinung, die Parteiführung sei schon zu weit zurückgewichen. Da kam Otto Bauer selber nach Steyr, um wieder einmal abzuwie•geln und auf später zu ver– trösten. Was man nach dem Verbot des Schutz– bundes nicht getan habe, werde man ganz be– stimmt tun, falls Dollfuß auch die Partei verbieten sollte - nämlich losschlagen . Ein am I. II. 1933 in Steyr aufgetauchtes na– tionalsozialistisches Flugblatt, das über die Otto-Bauer-Versarrnnlung berichtet, faßt die Stimmung in den roten Kreisen so zu– sammen: Das Vertrauen zu ihrer Führung ist geschwunden . Hier kündigt sich auch schon an, wer die Nutznießer der vorangegangen und der noch kommenden Entwicklung sein würden. In einem vertraulichen Bericht des Sicherheitsdirek– tors für Oö. vom 4.12 . 1933 heißt es: Da– gegen soll in einzelnen Gebieten der linke Flügel der sozialdemokratischen Partei , insbesondere der Jugend , mit der national– sozialistischen Bewegung stark sympathisie– ren . So wurde unter anderem in Steyr ver– traulich erfahren , daß Unterführer des be– stehenden Republikanischen Schutzbundes auf ihren Anhang einzuwirken versuchen , bekann– te strafbare Handlungen von Nationalsozia– listen den Behörden nicht anzuzeigen . Es ist weiters erwiesen , daß sich die radikalen SS-Angehörigen der dortigen Gegend aus früheren Schutzbündlern rekrutieren. Nament– lich die jüngeren Schutzbund-Mitglieder sind mit der gegenwärtigen , vermeintlich energielosen Parteiführung unzufrieden . So sehr der letzte Satz auch stirrnnt, so skeptisch bin ich doch den vorhergegangenen Behauptungen gegenüber (wenn ich auch zu– geben muß, daß ich's vielleicht nicht wahr– haben will, so habe ich doch auch Hinweise dafür, daß hier Polizei-Konfidenten das Gras haben wachsen hören). Die Hinwendung von Teilen des Schutzbundes zu den Nazis ist für die Zeit nach dem Februar 1934 nicht zu leugnen, am Ende des Jahres 1933 ist sie vermutlich erst von einzelnen Schutzbündlern vollzogen, von anderen aber immerhin in Erwägung gezogen worden. Daß einige (wenn nicht sogar tatsächlich viele) anfingen, ausgerechnet in den Nazis die einzig wirksame Kraft gegen die sich konstituierende Dollfuß-Diktatur zu sehen das beweist vor allem, in welch verzwei-' felte Lage die österreichische Sozialdemo– kratie geraten war . Der Kampf wird unausweichlich Harry Slapnicka schreibt im Buch "Wider– stand und Verfolgung in Oberösterreich 1934 - 1945": Richard Bernaschek , einer der maßgeblichen Funktionäre der Arbeiter– räte der Jahre 1918 bis 1920, hatte seit 1924 in Oberösterreich den Republikani– schen Schutzbund aufgebaut; 'sein Lebens– werk war 1933 verboten worden und zeigte in der Illegalität Zerfallserscheinungen. Angesichts weiterer zu erwartender be– schränkender Maßnahmen durch die Regierung Dollfuß beriet sich Bernaschek mit seinem Freundeskreis . Das war am Sonntag, dem II. Februar 1934. Es ging, schreibt Manfred Brandl über diese Sitzung in Linz, etwa um folgende Fragen: Was ist zu tun, wenn die Entwaffnung des Schutzbundes weiter fortschreitet? Kann man noch mehr Brüche der Bundesverfassung hin– nehmen? Bernaschek stützte sich besonders auf die Vertreter aus Steyr , unter denen Bürgermeister Sichlrader, Stadtrat Azwanger und Ferdinand Mayrhofer waren (übrigens auch, von Brandl nicht erwähnt, der Be– triebsratsobmann der Steyr-Werke August Moser). Auch vom Wolfsegger Kohlenrevier waren Schutzbündler gekommen . Sichlrader soll nun in besonderer Weise den starken Mann gespielt haben; im Vertrauen auf das massive Auftreten Steyrs beschloß Berna– schek nun, bei weiteren Waffensuchen würde man sich zur Wehr setzen . Bei der Heim– fahrt von Linz, etwa in der Gegend von Enns, sagte Sichlrader zu seinen Beglei– tern etwas wie, es würde nicht so weit kommen, selbst wenn Bernaschek kämpfen möchte, so würden die Wiener ihn das schon zu hindern wissen. Nicht unwesentlich erscheint, daß diese Besprechung in Linz auch unter einer neuer– lichen Heimwehr- Drohung gegen die Sozial– demokratie stand. Vizekanzler Major Fey hatte anläßlich einer Gefechtsübung der niederösterreichischen Heimwehr erklärt, daß der Bundeskanzler Dollfuß der Unsrige ist, und dann angekündigt bzw. gedroht: Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten für unser Vaterland.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2