Steyrer Tagebuch Nummer 22, Oktober 1984
27 kannte Typen aus Steyr und Umgebung Sessions auf Mund– Jazz harmonika, Wasserkanister und meinem nagelneuen Cam- -------------------------– pi nggeschi rr, dazu gab's gegri 11 te Lammkote 1etts, Käsekrainer, Schweinslungenbraten, Bratkartoffel, Sa– lat und Erdbeeren von den umliegenden Feldern (alles zubereitet vom bekannten In-Koch K.H.). Klarerweise bestand das Festival für mich aus einem ständigen Pendeln zwischen den beiden Zelten. Daß ich dadurch Les ter Bowi e versäumt habe ärgert mi eh zwar, aber wer kann schon einem Lammkote 1 et t widerstehen, wenn er den ganzen Tag noch nichts gegessen hat. Miles Davis und Bobby McFerrin hab' ich nicht versäumt und ihre Konzerte waren für mich die Höhepunkte beim heurigen Festival. Höhepunkte anderer Art erlebten viele der rund 8000 Besucher/innen, wenn sie nach dreiviertelstündigem Anstellen endlich eines der 15 Klos erreicht hatten. Auf dem Festivalgelände drängten sieh die Massen, besonders arg wa r's am Samstag. Da konnte man sich kaum mehr umdrehen. Eisern blieb da die offizielle Abordr1ung des Steyrer Jazzkorners auf der am ersten Tag eroberten Bank in den vordersten Reihen k 1 eben. Ieh g 1 aube die haben kein einziges Konzert ausgelassen, obwohl ein paar Gruppen glattweg zum Vergessen waren. Weather Report zum Beispiel (Ausnahme der Perkussionist Mino Cuelu) oder George Gruntz mit seiner Big- Band (da gefiel nur der Bandoneon- Spieler Oino Saluzzi). Irrsinnig klass war der österreichische Beitrag, das Karl- Heinz Mik- 1 in Trio, das auch schon in Steyr zu Gast war. In der letzten Nacht war's schon ziemlich kalt, aber Gott– Sei-Dank heizte B.B. King noch einmal kräftig ein und zog mit einer guten Band eine· echt amerikanische Sho~; ab. Das noch v erb l ieb e nr: Publikum riß es von den Stühlen und es gab kaum jemand, der nicht tanzte. Wiesen hatte die Urlaubszeit eingeleitet. Bevor ich aber meinen Urlaub antreten konnte, mußte ich erst mein Campinggeschir r u, sU01J t en , das nach den drei Tagen aussah wie ein Sortiment Mini- Steel- Drums. "Wia getsch da?" fragt mich einer der vielen Amei– senarbeiter, die hier herumrennen. Ich fühl mich plötzlich, als Eindringling in den heiligen Bezirk und rede etwas verwirrt von Karte kaufen und gerade ange– kommen usw. als er mir freundschaftlich auf die Schul– ter haut und sagt: "Loosta Zeid, kummd oisi nu!". So 1chera rt beruhigt trinke i eh ein Bi er und rauche eine Zigarette mit ihm und fühle mich plötzlich ent– spannt. Diese glückliche Stimmung verläßt mich das ganze Wochenende nicht. Die Schönheit der Umgebung beruhigt angenehm und die Sti 11 e rundherum wird nur von Kühen und Jodlern unter– brochen. Letztere stammen von Sommerrodelbahnern, die, angesichts ihrer qualmenden Hintern, der Begeisterung Luft machen müssen. Abso 1 uter Geheimtip sind Früh– schoppenfahrten mit Vo 11 gas nach Saa 1 fe 1 den um nachher mit Standgas in die Nachmittagsvorstellung zu gleiten. Diese Spiele in Saalfelden sind von einer derartigen Fröhlichkeit und heiteren Gelassenheit, daß es selbst dem hiesigen krachledernen Bürgermeister (alle 3 Tage in voller Hochlanduniform anwesend) entfährt : "Liaba Tschöss ois Ströss" oder so ähnlich. Anbei noch eine Saalfelden- Checkliste für Jazzfreaks. Jazzmumien anwesend neue Wege im Jazz gehört Gigantomanie wegen Großstadtnähe Stacheldraht und Palisaden Wegzeit aufs Klo unter 3 min Wartezeit auf ein Bier unter 5 min Schnorrmöglichkeit von Zigaretten Intellektuelles Gefasel zw.d.Konzerten Tragen von Lederhosen erlaubt kostenloses Anhören außerhalb des Zelts ekelhafte Störversuche JA NEIN X X X X X X X X X X ___________________Günter Reiter von degenerierten Wienern X X X X Saalfelden - kein Blues Wie ein riesiger Schneehaufen schaut es aus, das Zelt, in mitten saftiger AlnMiesen und Alpenglühen. Rundhe– rum bimmeln die Kühe mit ihren glocken Eutern. Ein wahrhaft pastora 1er Anb 1 i ck, mit den nahen Bergen, viel schöner als voriges Jahr. Zwar blitzt manchem drinkfestem Jazzer eine Träne im Auge, der billigen Biersteigerl und Gulaschsüppchen aus dem nahem Super– markt wegen, dafür plärrt einem keine Kaufhauswerbung zwi sehen 1 eise Jazzpassagen, daß, meinetwegen, eine Kiste Zahnpaste billiger bei Smurpf, als ein Flugzeug bei Smarpf ist. Nein Leute, heuer ist alles anders. In fast heiliger Stimmung betrete ich das noch jungfräuliche Zelt am Vorabend des Spektakels um den Priestern dieser weißen Leinwandkathedrale bei den geheimnisvollen Riten zuzu– sehen, mit denen sie den mächtigen Gott der E 1 ektro– nik, des Bieres und der heißen Würstel mi 1 de stimmen wollen. Stopfen des Maules derselben Platzreservierung vorm Konzert Anstell zeit ·vorm Eingang unter 15 min Wiederholung des Festivals im nächsten Jahr hoffentlich Mit Absicht keine Musikkritik oder -nacherzählung. Lieber se 1 ber kommen im nächsten Jahr und genießen. Oder könnt ihr etwa mit den Augen hören? kapf
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