Steyrer Tagebuch Nummer 22, Oktober 1984

Buch Pelzmäntel und Lodenanzüge an, um der Landbevölkerung zu zeigen, wer man ist , gleichzeitig um sich anzubie– dern. Am Grijb beten die am lautesten, die sonst nichts mit der Re l i gi on zu tun haben wo l l en, beim Leichen– schmaus wird über das miserable Gulasch gewettert, eine Sammlung wird für den Lebensgefährten Joanas betrieben, um soziale Einstellung zu demonstriere~ "Sie 1eben nur dem Ans.chei n nach." Ehe, Bi 1dung, Kün– stlertum sind dieser Gesellschaft kein menschliches Bedürfnis, sondern Modeerscheinungen. Der I eh- Erzäh 1er 1ebte a 1s junger Mensch in dieser Gesellschaft, er verdankte ihr ein gewisses Maß an Bildung und viel leicht sogar den Anstoß, Schriftstel– ler zu werden. Er konnte es aber nur werden, indem er sich von ihr entfernte. Als SO-jähriger sieht er di e Dekadenz , die "Todeskrankheiten" dieser Gesellschaft und wehrt sich dagegen, indem er sich von ihr völ 1 ig distanziert, sie sogar brutal angreift. Das ver-trägt sie nicht. Sie läßt beschlagnahmen. Ich versuche nicht - und habe auch gar kein Interesse daran - hinter den fiktiven die wirklichen Namen zu entdecken. Dieser Text würde dann kaum unter Literatur einzureihen sein. Die Namen sind aus tauschbar. Diese Gese l l scha ft existiert in der "Tal entzertrümmerungsan– sta lt" Wien, und sicherlich nicht mrr dort. Es gibt sie Ubera l 1. Ich erinnere bloß an eine Thea– ter- Abonnement- Veranstaltung in Steyr, wo Bildung nicht Selbst verständ l i chkei t ist, sondern penetrant demonstriert wird. Bernhards "Hol zfä 1 l en" hat a 1so eine durchaus a l l ge– meine gesellschaftliche Ebene. In diesem Zusammenhang ist auch auf ein spezifisch Bernhardtsches Stilcharak– t e ristikum hinzuweisen: Er benutzt die Technik der Ral lenprosL Wer spricht und was der Autor davon hält ist daher nicht unterscheidbar. Deshalb kommt es nur zu einer "fingi e rte n Wi rkl i chkeitsaussage". Der Trans– port von l i tera r i sehen Aussagen in die gese 1 l schaft 1i - ehe Wirklichkeit ist also nicht so einfach, wie sich das manche vorstellen. Das man sich in der Literatur selbst wiedererkennt, ist nicht neu , ist meist beab- 23 sichtigt und noch lange kein Grund beschlagnahmen zu lassen. - 5„k-c, , A:',yk, Ma , Jj,<Gh'1 .-1', ,k,""'', . „u~~ 1...J,ds lt,jwsi:/, Mi-. fa-v; L-;;J - 1 ;-<~i· ------... _,, · ...... - - Und der Staat? Thomas Bernhard sagt schon 1968 in seiner "Dankesrede" anläßlich der Verleihung des österr. Staatspreises: "Der Staat ist ein Gebilde, das Fortwährend zum Schei – tern {... ) verurtei lt ist." Der damalige Unterrichts– minister Piffl - Percevics verließ daraufhin den Saal mit dem Ausruf: "Und wir sind stolz, Österreicher zu sein!", womit er nur demonstrierte, daß er die Rede Bernhards nicht verstanden hatte. "Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben, wir sind in dem Prozeß der Natur der Größenwahn - Sinn a 1s Zukunft", heißt es weiter darin. Karl M. Kubizek Bernhr1 rd, Thomas: Ho 1zfäl l en. 1. Aufl . F. a. M. 1984 Suhrkamp- Verlag: DM 33 {derzeit nur in der BRD– erhältlich!) ) ,~\:)) 5}_)) 10~=:::J' ~ _j ~ ~~ .J /

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