Steyrer Tagebuch Nummer 21, Juni 1984

Gespräch Schilling gekriegt. Um 7 Schilling hat man schon ein Hemd bekommen, ein Paar Schuhe haben 18 Schil 1 ing gekostet. Zu uns sind dann noch die Bett 1 er gekommen, die noch viel weniger gehabt haben als wir. Die Arbeitslosen sind in dieser Zeit noch von den Ausgesteuerten beneidet worden. Die Ausgesteuerten haben vielleicht auf good will einmal vom Arbeitsamt ein paar Schil– ling bekommen, aber keinen Anspruch mehr gehabt. Die meisten Jungen waren im Gebir– ge drinnen, haben ein Sackerl Mehl mitge– nommen, Forellen gefangen und so .dahinve– getiert. Der Weg zum Betriebsratsobmann und Vtzebürgenneister Aus dieser Zeit heraus hab ich mir folgen– des immer gesagt: mit Jammern und mit Mitleid haben ist noch keinem geholfen. Geholfen ist nur, wenn man versucht alles zu tun, damit Arbeit existiert und das Leben nimmer so wird, wie es einmal war. Diese Erfahrungen waren vielleicht mitbe– stimmend, daß ich in der ganzen Zeit mei– ner Berufstätigkeit mit ein bißl mehr Kraft, als viel leicht andere eingesetzt hätten, versucht hab, alles zu tun, das durchzusetzen. Das schafft Widerstände, weil was nicht von selber geht muß irgend– wie gemacht werden und kann nur gemacht werden, wenn man sich durchsetzt und durchsetzen heißt: mit anderen in Wider– spruch kommen. Ein Schlüsselerlebnis In meiner Lehrzeit und danach hab ich auf einer Drehbank gearbeitet, in der Ersatz– teilfertigung, da hat neben mir ein Mann gearbeitet, ich seh ihn heute noch vor mir. Er hatte fast keine Zähne im Mund, schlohweißes Haar, war ausgemergelt, zu– sammengeschrumpft, und hat immer noch arbeiten müssen. Er hat mir oft leid ge– tan, ich hab ihm geholfen, wenn irgendwas schwereres war. Das war für mich ein Bei– spie 1, daß man selber was tun muß, an sich arbeiten, daß •man es im Leben zu ein bißl was bringt. Sonst wird das Leben so ablau– fen, daß du froh sein mußt, wenn du eine Arbeit hast und du mußt dich schinden und plagen und bleibst übrig. So ist aus dieser Zeit sehr viel meiner gesamten Berufslaufbahn beeinflußt worden. Ich war mit 22 Jahren in den Steyrwerken der jüngste Vorarbeiter. Nach dem Krieg war ich arbeitslos, hab aber zufällig meinen früheren Chef getroffen, der in Letten einen Dreher gebraucht hat. Ich hab alles angepackt, bin mit dem Rad oder der Steyrtalbahn in die Fabrik rausgefahren und Einsteller geworden. 1948 wurde ich wieder ins Hauptwerk geholt und Vorarbei– ter. Ins politische Leben bin ich völlig unver– hofft und ungewollt gekommen. Als Handbal– ler war ich in der oberösterreichischen Auswahl, 5 oder 6 Mal Landesmeister im Alpinschilauf, habe in Leichtathletik an Länderkämpfen teilgenommen. Dadurch haben mich doch viele Leute gekannt und in Gars– ten ist die Gemeinde viel überschaubarer. Sie haben mir so lange zugeredet, daß ich mich im 5ler Jahr für den Gemeinderat habe aufstellen lassen. Ich bin aber dann im 52er Jahr nach Steyr gezogen und habe das Mandat wieder aufgegeben und ehrlich ge– sagt keine politischen Ambitionen gehabt. Neuer Kandidat gesucht In den Steyrwerken haben sie mich dann angeredet, daß ich einmal für die Meister den Betriebsrat mache. Dann ist es dazu gekommen, daß ich zum Obmann des Ange– stelltenbetriebsrats vorgeschlagen worden bin - ich wollts nicht werden. Das ist allein ein Kapitel in meinem Leben und die einschneidendste Wende in meinem Berufsle– ben. Aus verschiedenen Gründen hat sich keiner der Kandidaten das Ubernehmen ge– traut, weil sich alle vor der Direktion gefürchtet haben. Die Führungsgarnitur ist sehr autoritär aufgetreten, hat es nur verstanden, sich ein paar Spitzenfunktio– näre aus den Betriebsratskörperschaften gewogen zu halten. Mein Vorgänger war der Stadtrat Huemer, er hat ja auch einen großen Ruf in Steyr genos~en, aber die Angestellten haben halt nimmermehr zu– gschaut. Da hat's bei der Wahl im 57er Jahr 40 Stimmzettel gegeben, wo die ge– meinsten Beschimpfungen der SPÖ und des Huemer und alles mögliche draufwar. Das war der Anlaß, daß sie ihn nicht mehr aufstellen und zum Obmann wählen konnten, "sonst hauen uns die Leute mit nassen Fetzen davon". Das ganze hat sicherlich den Hintergrund gehabt, daß er mit dem Zentraldirektor Glöckl persönlich sehr 9

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