Steyrer Tagebuch Nummer 20, Mai 1984
24 Buchbesprechung Von einem vergessenen Besessenen Theodor Kramer, wurde 1897 in Nieder-Hollabrunn im niederösterreichischen Weinviertel geboren. Aufgewach– sen als Sohn eines jUdischen Gemeindearztes, arbeitet er nach einem abgebrochenen Studium im Buchhandel. Im Herbst 1915 wird er als Offizier einberufen, wird im Juni darauf in Wolhynien schwer verletzt, macht aber den Krieg nach seiner Ausheilung bis zum letzten Tag mit. Nach dem Krieg versucht er wieder zu studieren, ist aber gleichzeitig Statistiker in einer halbamtlichen Getreide~erkehrsstel l e. Bald interessiert ihn das Studium nicht mehr, und er nimmt verschiedenste An– ste 11 ungen im Buchhandel an. Was ihn interessiert, i$t das Schreiben von Gedichten. Er nennt sie eine "ganz eigenbrötlerische Gedankenlyrik~ Mit 14 Jahren beginnt er, mit 30 Jahren wird es ernsthaft betrieben. Vierzig Jahre lang schreibt er jeden Tag ein Gedicht (außer Sonntag). Er hat cirka 12.000 Gedichte hinter– lassen, den Weg zu uns haben sie bis jetzt nur spär- 1ich gefunden. Warum sie vergessen werden konnten, darauf werde ich noch zurUckkorrmen. Wer läutet draußen an der Tür? Lei! du die Betten aus. De; Hau besorger war's; wir solln am Ersten au:; dem Haus. Wer läutet draußen an der Tür? Die Fuchc;icn ölühn o nah. Pack. Lieb te , mir mein Wa chzeug ein und wein nicht : sie sind da. 1939 gelang seiner Frau die Ausreise nach England, erst knapp einen Monat vor Beginn des 2. Weltkriegs konnte ihr Kramer dank der Intervention von Thomas Mann nachfolgen. Er bekam eine Stelle als Bibliothekar in Gui l dford. Auch im Exil schreibt er we i ter Gedichte , die den europäischen Widerstand und die Exil s it uati on rnm Gegenstand haben. Nach 1945 konnte er sich , schon kränkelnd, nicht z ·r Heimkehr entschließen. Obwohl für ihn und sei n Wrrk die Heimat nachgerade unentbehrlich war, kehrte t> r erst 1957 unter dem finanziellen Schutz einer öster– reichischen Ehrenpension in seine Heimat zurUck. Er kam aber als kranker Mann , fast nur, um hier zu ster- ben. ("Erst in der Heimat bi ich ewig fremd"). 1958 In der Zwischenkriegszeit konnte er seine Gedichte starb er an einem Gehirnschlag. noch einigermaßen in Zeitungen unterbringen. Schmale Gedichtbändchen, wie "Gaunerzinke" (1929) oder "Wir 1agen ; n Wo l hyni en" (1930), brachten ihm sogar etwas 1 i terari sehen Erfo 1g ein. Doch 1933 schmo 1zen die Veröffentlichungsmöglichkeiten schnell. Die braunen Herrenmenschen hatten es nicht gern, wenn da einer aufschrieb, was er sah, roch und fUhlte. 1Ver läutet draußen an der Tür? Wer läutet draußen an der Tür, kaum daß es ich erhellt? Ich geh schon. Schatz. Der Bub hat nur die Semmeln hingestellt. Wer läutet draußen an der Tür? Bleib nur; ich geh, mein Kind. Es war ein Mann· der fragte an beim achbar, wer wir sind. Wer läutet draußen an der Tür? Laß. Schatz. die Wanne voll. Die Post war da· der Brief ist nicht dabei. der kommen soll. Selbstporträt 1946 Bu. ehig i t mein Haar. i~t strähnig schon ~·on ,rau durch!- tzt ein wenig, schmc>rzh ft mein Gc-därm \·erwachsen und mein Herz machl mir chon Faxen. AJ1e Laue. Halbe haß ich, was an Geld kommt ein. verpraß ich; wa. ich weiß - nicht ,·iel - da \ ciß ich, auf die !\cunmalwei en chciß ich. Ein. tand tets ich für die Armen, oft mit mir kommt mir Erbarmen; nötig hätt ich oft ei n Fuder - alle ind wir arme Luder. Blau chon schwillt mir das Geäder, unbeirrt führ ich die Feder; schön ist'!., Tag für Tag zu chreiben: dies und da davon wird bleiben.
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