Steyrer Tagebuch Nummer 19, April 1984

6 EINE GIGANTISCHE SCHLOSSEREI Im zweiten Teil des TAGEBUCH-Gespräches mit Bruno KREISKY geht es um seine Wahlniederlage, um die Steyr-Werke, Subentionen, Alternative und abs~hließend um seine jetzigen Aktivitäten. Die verlorene Wahl KREISKY: Wir hätten die Mehrheit behalten, wenn ich nicht einen großen taktischen Fehler gemacht hätte, zu dem ich mich be– kenne: ich war der Meinung, man müsse den Menschen vor der Wahl sagen, daß wir ge– wisse Belastungen verlangen müssen. Wenn ich mich he– rumgedrückt hätte, dann hätt' ich wahrscheinlich nicht die 2,3 % verloren. Naja: jetzt müssen sie noch schwerere Opfer auf sich nehmen: die Mehrwert– steuer, die Stromverteue– rung hätten sie sich er– spart. Aber das hängt auch mit einer gewissen inneren Un– einigkeit zusammen. Ich war ja schon sehr früh für die– se Quellensteuer, da wäre kein Arbeitseinkommen be– troffen gewesen - eine vom sozialistischen Standpunkt einwandfreie Steuer.Aber da hat man offenbar psycho– logisch einen Fehler ge– macht, das geht wieder auf meine Rechnung. Ich gebe meine Fehler zu, aber richtig war die Poli– tik: daß wir mit unseren Maßnahmen durch die Krise durchtauchen müssen. Das ist uns ja gelungen. Jetzt können wir fast sagen, daß wir durchgetaucht sind. Steyr:-Werke TB: Wie sehen Sie die Lage der Steyr-Werke? KREISKY: Die Steyr-Werke haben meiner Mei– nung nach einige große folgenschwere Fehlerbe– gangen. Die Zusammenarbeit mit Mercedes hat nicht sehr geklappt, die Zusam- menarbeit mit BMW hat nicht sehr geklappt. Hoffentlich wird die Zusammenarbeit mit den Volkswagenwerken klap– pen. Wenn halt so etwas im– mer wieder begonnen wird und dann nicht funktioniert, dann kann's nicht nur die Schuld der ~nderen sein. Die Steyr-Werke sind meiner Meinung nach als Betrieb eine gigantische Schlosse– rei, die Qualitätsprodukte erzeugt, aber die Entwick– lung verpaßt hat. Sehen Sie sich dagegen VOLVO an. Volvo war, als ich von Schweden wegfuhr, in den 5Oer Jahren, eine kleine Automobilfabrik, eigentlich nur für den schwedischen Markt, der da– mals von billigen amerika– nischen Automobilen über– schwemmt wurde. Die Volvo– Leute haben sich die Hemdär– meln aufgekrempelt und sind heute eine der größten Auto– mobilfabriken Europas, wer– fen gewaltige Gewinne _ab und erzeugen Mittelklassewagen. Wenn wir damals das auch ge– macht hätten mit den Renomme das Steyr im Personenautomo– bilbau gehabt hat, dann hät– ten wir wahrscheinlich heute eine Automobilindustrie wie Volvo, das sich den Markt erst erobern mußte. Man hat aber das einfache Geschäft mit FIAT gemacht und war zufrieden. Den Fiat hat man angstrichen. Spitzenzulieferer TB: Und jetzt ist es zu spät? KREISKY: Jetzt ist es zu spät. Wir haben das beste aus der Situation ge– macht, indem wir zu einem Spitzenzulieferer für die Automobilindustrie Europas geworden sind, das ist un- sere Zukunft. Unsere Moto– renwerke von GM und BMW sind heute die Industriebetriebe, die uns geholfen haben, die Leistungsbilanz zu verbes– sern. Und das alles im hef– tigen Kampf gegen die Oppo– sition. Denn es ist nicht wahr, daß der Herr Landes– hauptmann Ratzenböck so er– folgreich war bei der Er– richtung von BMW. Er hat lang genug gefeilscht um je– den Schilling und er hat uns ununterbrochen Schwierigkei– ten gemacht. TB: Wie weit beeinflussen diese Förderungen tat– sächlich die Entscheidung? KREISKY: Sehr. Wir sind in einer harten Konkurrenz, weil andere Länder ähnliche Förderungsmittel zur Verfü– gung stellen. Wir haben nicht mehr gegeben als ande– re. Wir haben noch das Plus einer sehr gut ausgebildeten Arbeiterschaft und im sozia– len Frieden. Und die Indu– striefreundlichkeit der Bun- ldesregierung. Erpressung? TB: Es gibt die Meinung, -- von Seiten der Firmen würde die Förderung er– presst? XREISKY: Nein·, das ist keine Erpressung, sondern man hat die Firmen herbekom– men und nach 2,3 Jahren hat man durch die Steuern herein ! gebracht, was man da ausge– geben hat. TB: Eine erfolgreiche Anpas– sung der Steyr-Werke an die Produktivität ihrer Kon– kurrenz wird weitere Arbeits ! plätze kosten KREISKY: Das ist heute so. Hätte man früher be gonnen, dann hätte man auch Arbeitsplätze verloren, aber

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