Steyrer Tagebuch Nummer 18, Februar/März 1984

TB: Wie war es außerhalb Wiens? KREISKY: Es hat die RSJ- Gruppen überall ge– geben , wo es Sozialistische– Arbeiterjugendgruppen gegeben hatte. In gewissen Teilen Österreichs sind wir auf ei– nen merkwürdigen Widerstand gestossen. Z.B . in Attnang– Puchheim und Ampflwang, wo man am meisten gewütet hatte nach den Kämpfen, wo die Er– schießungen waren. Viele ha– ben mir zum Beispiel gesagt: "Schau, hört's auf mit den Sachen. Des bringt nix . Uns ist jeder recht, der mit der Brut fertig wird." Daher hat es eine gewisse Prädisposi– tion für die Nazis gegeben. Im Juli haben dann auch eini– ge Schutzbündler mit den Na- zis gekämpft aus dieser to– talen Verwirrung nach dem Fe– bruar.Die Kommunisten haben beim Juli-Putsch die General– streikparole ausgegeben. Das wollten die Sozialisten ver– hindern, weil es nur den Na– zis in die Hände gespielt hätte. TB: Wie war die Haltung der Jungen vor 1934? KREISKY : Wir Jungen waren eigentlich der Mei– nung, daß man sich 1933 hätte wehren müssen. Da hätte man sich wahrscheinlich sogar den unmittelbaren Kampf erspart. Man wollte ja nicht kämpfen um jeden Preis . In den kriti– schen Tagen von 1933 hätte eine große Aktion der Arbei– terschaft, ein Generalstreik, noch geholfen - wenn über– haupt. Da hätte sich viel– leicht unter dem Eindruck der deutschen Entwicklung ein ge– wisser Flügel der Christlich– Sozialen stärker durchgesetzt TB : Wäre nicht alles eventu- ell noch schlimmer gekom– men? KREISKY: Nein. Es wäre 1933 wahrscheinlich gar nicht zum Bürgerkrieg gekom– men . Wenn der Streik funktio– niert hätte, hätte sich nach meiner Meinung vielleicht ei– ne Fraktion der Bürgerlichen noch gefangen und sich mit der Sozialdemokratie zusam- mengesetzt . Theoretisch hat es ja mindestens 70 % gegeben die nichts von den Nazi wis– sen wollten: 30, 35 % katho– lische Bauern und 30 % sozial demokratische Arbeiter. 30 % waren so diffuse Anhänger der faschistischen Verführungen. Theoretisch hätte sich Öster– reich genauso vor dem Nazis– mus retten können wie die Schweiz, wie Luxemburg. Wir hatten die Massenbasis für 7 vom Zögern, noch andere Feh– ler gemacht hat? KREISKY: Natürlich. Mit ihren Selbstschutzorgani– sationen war sie inkonsequent Man hat den Menschen das Kon– zept vermittelt: wir müssen unsere Beiträge zahlen und stimmen und dann gibt's eine eigene Armee, die wird schon das alles machen . Das war falsch: man hätte das ganze Volk mobilisieren müssen, wenn man so eine Politik ver– tritt . TB: Sie sagten in einem Inter view, Parteien, die Bür– gerkriege hinter sich haben, wären weiser. KREISKY: Insofern, weil si e wissen, daß Bürger– kriege keine Lösungen bringen TB: Trifft das auch für die bürgerliche Seite zu? KREISKY: Hoffentlich. Wir ha- ben den Nachweis er– bratht, daß die Sozialdemo– kratie in Österreich ohne Bürgerkrieg wieder zur Regie– rung gekommen ist und in Spa– nien auch. Ob die bürgerliche Seite das auch weiß, das hof– fe ich. Aber sicher bin i net so eine Politik in den ka- TB·. tholischen Bauern und bei den Ist es Ihnen in der Zu- Arbeitern. sammenarbeit, z B wäh r end der Koalition, gelungen, das TB: Glauben Sie, daß die So- alles offen mit ÖVP-Leuten zu zialdemokratie, abgesehen besprechen?

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