Steyrer Tagebuch Nummer 17, Jänner 1984
24 Warum gingen sie zu Fuß? REGIERUNGSKLAUSUR Als politisch erwachter Mensch interessiere ich mich für die greifbare Gelegenheit Demokratie zu üben . 'Auf der Suche nach einem Gastlokal für eine Podiumsdis– kussion der ALÖ erfahre ich , daß rund– herum alies ausgebucht ist . Seltsam aber , daß nirgends ein Programm ver– öffentlicht wird , und nichts zu erfahren ist . Am Montag um 17,00 Uhr lacht mir endlich das Glück in der Person des SPÖ - Sekretärs von Steyr , der das einzige Programmexemplar ? dns er besitzt , foto– kopieren läßt , für mich . Es ist lesenswert . icht bloß die Fülle von Veranstaltungen ist beachtlich , mehr sagt eigentlich die Organisation . Sie erklärt den Grund der Geheimhaltung . Die in Zeitungen angekündigte Volksnähe soll nicht igendein Volk in die ähe lassen . Man will vor allem geladene Gäste ver– sammeln . Wer , so fragen wir uns in der Montagsrunde beim Minichmayr , will diese Selektion? Die Pali tiker? Die Organisatoren? Heutzutage besteht eine große Neigung , den Politikern viel Schlechtes zuzutrauen . Etliche meinen aber , daß die Politiker gar nichts wissen , von ihrer Rolle im Steyrer Theater . Man sollte sie darüber aufklären . Plötzlich erhält die bereits bestehende Idee einer Brauchtumsaktion ihren politischen Stil , Mittwoch : Einige Akteure treffen sich am späten Nachmittag , insgesamt sind wir zu sechst . Wenn der Postautobus, in dem die Re – gierungsmitglieder kommen sollen, zwischen 18 . 00 Uhr und 19 . 00 Uhr zum Stadtplatz fährt, wollen wir ihn • am Grünmarkt mit Hilfe eines alten Brauchs anhalten : Klapptisch, Klappsessel blitzschnell aufstellen, sich an den Tisch setzen und schnapsen . Wenn der Festzug (in diesem Fall Autobus) passieren möchte , muß vorher die Zeche bezahlt werden . Natürlich wollen wir kein Geld , sondern an die Politiker herankommen Wir haben ein Plakat für die Windschutz– scheibe parat . für den Fall , daß wir nicht in den Autobus gelangen können , um unseren Protest gegen den ausgeheckten politischen Stil persönlich vorzutragen . Auch ist es uns ein Anliegen, an der Lösung unserer Probleme mitzuarbeiten . Wir haben Flugzettel, die wir überreichen wollen , bei uns. Es ist schon ein ~ulmiges Gefühl , nur gestärkt von der Uberzeugung , etwas Richtiges und Wichtiges zu tun , erst– mals zu einer Aktion aufzubrechen , deren Ablauf man nur in groben Zügen hat plane kö~nen . Christa aus Reichraming , meiner Kartenspielpartnerin, mochte es wohl ähnlich ergehen . Doch wir sprechen jetzt nicht von den geheimen Ängsten . 17 . 45 : Markt und Straßen sind dergestalt v~rlassen, daß d~ei Personen, die einige Minuten vor der 1nka - Boutique stehen auf jeden Fall verdächtig auffallen . ' Sonstige Personen, von Beruf Polizisten oder Geheimpolizisten , sind nämlich ständig im Gehen begriffen . Also : einige Polizisten in Zivil teilen uns mit , daß sie nicht wollen , daß wir hier etwas in Szene setzen . Wir versichern aber, daß wir schon wollen und daß sie sich vor zwei zarten Frauen ' nicht fürchten brauchen, weil wir völlig harmlos sind . Wer und was wir sind , will die Staatsgewalt sodann wissen . Es scheint sie außerordentlich zu beruhigen , daß ich selbst ein Leibeigener des Staatesbin , und somit einem disziplinierten Berufsstand an– gehöre . Da es keinen Grund gibt , so ehrbare Leute wie uns vom Grünmarkt zu verjagen, sollen Uniformierte auf uns aufpassen, was diese bestens besorgen . Einige Tricks sollen uns zur Heimkehr bewegen, und es wird aller– hand hin- und hergefunkt . Unsere Helfer halten eifrig nach dem Postbus Ausschau . Die Bundesregierung läßt uns und die armen Polizisten lange in der Kälte warten . Endlich verkündet ein polizeilicher Großaufmarsch, daß es ernst wird . Gleich darauf biegt der Bus u •'1 die Kurve, ich schnappe den Sessel und- leider kann ich den wichtigsten Teil des Brauches nicht schildern , denn die Steyrer Polizeiherrn haben den Sinn alter Sitten und Bräuche nicht erfaßt . Ich sehe mich von einer Mauer grüner Leiber an meinem Vorhaben gehindert . Auch ein sc~öner Schäferhund wedelt erwartun<c– voll mit dem Schwanz . Ich kann nicht wahrnehmen, wie es Christa ergeht, blo~ der Postbus, wie er vorbeifährt . So humorlos ist die Welt . Aber eine kleine Entschädigung ward mir doch: Ich glaube nicht , daß ich jemals sonst in meinem Leben Gelegenheit erhalten hätte, von der
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2