Steyrer Tagebuch Nummer 17, Jänner 1984

Portrait Über das Steyrer Kripperl oder ,,Sie nennen mich CiIIi" · Eine zarte Person trippelt mit zarten Schritten , den Kopf leicht vor – wärtsbewegend, die Berggasse hinunter . Im Sommer mit einem Sonnenhütchen, im Winter umhüllt eine graue !Pelzmütze · das lustig - listige Gesicht . Und schon höre ich das Gloria - Gloria, die Traubenwirtin , und den Bäckernazl . Für Frau Leberstorfer gibt es die Zeit von ovember bis Jänner und den Rest des Jahres . Beginnt die Kripperl?pielzeit, so ist sie jeden Samstag/Sonntag un: sichtbare Stimme und Regisseurin . Ob sie die Vorstellungen nicht ermüden? Ein Lachen und ein entschiedenes Nein . Lust und Liebe lassen die TrampP-rlwirtin auch vie_rrnal an einem Tag zum Geländer gehen und wieder nicht sehen, was da unten los ist . Rezitiert sie die vertrauten Texte, so spiegelt ihr Gesicht mehr als die geschnitzten Figuren wieder . Im Mehlgraben ist sie geboren , mit den Buben ist sie davongelaufen, wenn sie "den Nachtwachta dös Liachtl ausblasn h~bn", hört 1913 selbst noch das "alle meine liabn Herrn und Damen laßt's eich sagn .•. ". So haben alle Figuren ihre Historie . Die Figuren wurden vor ca . 200 Jahren vermutlich für eine Wanderbühne in Sierning geschnitzt , die "Gschtanzln" überliefern ein Stück Steyrer Geschichte : Beim Schweinschwaller soll ' s gemüt – lich gewesen sein, der Ratzinger war ein 9roßer Bauer , beim Minichmayr war alles für die Gäst aufs Beste , die Traubenwirtin hat's gegeben, die "Schlittage" (ein Pferderennen der Bauern auf der noch heute sobenannten Rennbahn bei dem die Bürger zusahe~), die Bürger~ garde zu Fronleichnam, bis zum Bäcker– nazl von der "Lackn" . - Schauspiel e·n hat Frau Leberstorfer immer schon gefreut . An drei Laienbühnen in Steyr hat sie gleichzeitg gespielt : " •• und nur bese Rolln . Einmal hab ich nicht wollen , daß meine ichte heiratet da hab ich gelogen und gelogen, hab mich selber in ihr Bett gelegt cr.u mich von den Burschen im Leintuch raustragen lassen. Die haben g' schaut , wie auf ein- mal a Alte drinnenliegt , 11 Und schon ist Theater und Realität vermischt . Erzählt sie von ihrer Zeit als Er– zieherin beim Graf Erdödy , vermeint man ~ich im Märchen . Es wimmelt nur so von Prinzen und Prinzessmen . 99 Maier– höfe , 5 Schlösser, Hochzeiten im Hause Esterhazy und Schönborn ein be– scheidener Fürst (ohne Auto) : •• kommen vor . "Und je·::zt können sie sich denken, daß ich s~hr an der Hohheit hänge ." Diese Verg~ngenheit , das Kripperl , und daß "sie:? sich der guten Sache verschrieben hat ", hält sie lebendig . Als Frau Leberstor fer mit 68 Jahren 13 nach einem Lungeninfarkt und 6 Brüchen das Krankenhaus verläßt, ist sie _zu_eitel fUr einen Stock als drit tes Bein Ond er – turnt heimlich und energisch wid~r alle ärztlichen Prognosen ihre Gesundheit . Frau Leberstorfer - die Seele des Steyrer Kripperls , meint das Amtsblatt eine faszinierende Persönlichkeit, finde ich. C-ft.

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