Steyrer Tagebuch Nummer 16, Dezember 1983
Bewährungshilfe Steyr Es gibt die Bewährungshilfe Steyr nun seit 10 Jahren . Grund genug, einige Gedanken über uns und unsere Arbeit von uns zu ge– ben . Der folgende Artikel soll unsere Po– sitionen umreißen . Wie wir uns von anderen Institutionen unterscheiden, wie unser Ar– beitsansatz ausschaut und wo für die Grup– pe der Straffälligen die g·rößten Probleme im sozialem Leben liegen , Probleme, mit de– nen wir in unseren Kontakten klarerweise konfrontiert sind . Aus der Erfahrung unserer Arbeit sehen wir, daß den Jugendlichen eine Beziehung besser dient, die bei seinem eigenen Verst ändnis für seine Situation ansetzt, als ein dro– hender Finger oder eine erhobene Hand, die den Betroffenen in die Ecke treibt . Wir sind überzeugt, daß den Jugendlichen die sogenannte "letzte Chance" einer echten be– dingten Verurteilung (nach.dem neuen Ju– gendgerichtsgesetz) und die damit verbun– dene Möglichkeit schiefliegende Probleme seiner Persönlichkeit aufzuarbeiten, bes– ser tut, als die ach so präventive Maß– nahme des Häfens . Wir erleben immer wieder, daß ein Haftent– lassener von einer direkten, auf seine Schwierigkeiten nach der Haft bezogenen Beziehung, mehr profitiert, als von der Diffamierung durch die Medien, die ach– barn und durch seinen Sticker "Achtung Vorbestraft"! Wir sehen in unserer Arbeit die Möglich– keit, ohne großes Aufsehen und ohne die Betroffenen aus Ihrer sozialen Umgebung herauszuziehen, die Ursachen beseitigen zu können, die dazu geführt haben, daß derjenige ein kriminalisiertes Delikt setzen mußte . Im Gespräch mit den ßetroffenen sehen wir die vielseitigen Ursachen, die zu seiner Konfliktsituation geführt haben . Unser Ansatz ist der persönliche Kontakt zum Einzelnen und auch die Möglichkeit, auf das Bezugsfeld der Familie einzugehen tie– fere und weiter zurückliegende Konflikte anzusprechen . Unsere Situation hat sich aber in den letz ten Jahren verändert, besonders bei den sozialen Rahmenbedingungen , wie Wohnung, Arbeit, Geld . "Zuerst kommt das Fressen und dann die Mo – ral " (Brecht) . 3 Hier ist der Punkt, wo die Wirksamkeit ei– ner helfenden Beziehung in Frage gestellt wird. Ohne Arbeit, ohne Unterkunft kann man schwer von jemandem erwarten, daß er bereit ist, an seiner Persönlichkeit zu arbeiten. Das ist dann einfach nicht das Vorrangige. Wer will schon fragen, was gestern schief gelaufen ist, wenn er heute nichts zum Beißen hat. Die 51,3 % unserer Probanden, die keiner geregelten Arbeit nachgehen, sind wahr lieh keine Sandle'r und Tachinierer. Ein Teil ist durch seine Pro– blematik, durch seine Sozialisation, durch Beziehungskonflikte, oder auch durch die• Ha ft einfach nicht in der Lage, psychisch bzw . physisch einen 8-Stunden-Tag zu ver– kraften . Der andere Teil ist jedoch sehr wohl arbeitsfähig und arbeitswillig . Aber wo's nichts gibt, ist eben nichts zu holen . Auch eine dauernde Unterkunft setzt ein ge– wisses Grundeinkommen voraus . Der durch die Sozialhilfe unterstützte A~teil der Betrof– fenen ist aber meist nicht allzuhoch und von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich . Es gibt in den meisten Ebenen unserer Ar– beit ein Zusammentreffen von psychologischen, die Beziehung betreffenden Aspekten auf der einen Seite und sozialen und politischen Faktoren, als Rahmenbedingung für uns alle, auf der anderen Seite. Besonders in diesen Zeiten steht also die Arbeit und letzlich auch der Erfolg der Bewährungshilfe in ei– nem engen Zusammenhang zu den ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen . 1
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2