Steyrer Tagebuch Nummer 16, Dezember 1983

20 Henisch im Kulturbauernhof Eigentlich hätte es ein Interview werden sollen . Weil aber dieser Abend ohnehin mehr Gespräch als Lesung war, weil Henisch oh– nehin alles gab und sich ganz einließ, wä– re es wohl etwas hinterhältig gewesen, ihn hinterher noch mit einem Tonband zu ver– haften. So bleibt eine subjektive, von persönlicher Sympathie für Henisch ge– färbte Erinnerung . Es ging um seisen neuen Roman mit dem ur– sprünglich geplanten Titel "Hofmann oder die Befreiung der Phantasie", der jedoch knapp vor Drucklegung in "Hofmanns Erzählungen, Aufzeichnungen eines verwirrten Germanisten" abgeändert wurde. Beide Titel kommen dem Inhalt recht nahe, denn es geht haupt– sächlich um Verwirrung und um Phantasie. Denn was ein naiver Leser als E.T.A. Hof– mann-Biographie erachtet, entwickelt sich als ein kunstvoll auf mehreren Ebenen ver– flochtenes Geschehen. Da ist zunächst 8;T.A . Hoffmann selbst, ein der Roman tik angehö– render, aber letzlich nicht einzuordnender Dichter, ein Universalgenie, dessen Traum es war, ein großer Komponist zu werden, der zufällig auch schrieb und als Dichter in die Literaturgeschichte einging, der ein Leben lang den Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit aufs bitterste empfand, der schließlich dem bürgerlichen Dr uck erlag und als Kammergerichtsrat scheiterte . Da gibt es den an einer Hoffmann- Biographie arbeitenden Univ. - Dozenten Franz Kreisler, der sich anläßlich eines mißlungenen Vor– trages seines papierenen Wissens bewußt wird und der sich außerstande fühlt, seine Arbeit sinnvoll fortzusetzen. In diesem Zu– stand der Verzweiflung begegnet er einem Mann, der sich als wiedergeborener Hoff– mann ausgibt, dessen Anziehung er sich nicht entziehen kann, von dem er immer mehr ge– neigt ist zu glauben , er sei tatsächlich Hoffmann • Als Leser kommt man nun aus dem Beziehungs– zwang nicht mehr heraus . Denn Franz Kreis– ler bezieht sich auf den Kapellmeister Jo– hannes Kreisler, den seelischen Doppelgänger und die Titelfigur mehrerer Geschichten Hoffmanns, bald tritt eine lebende aber zu– gleich wiedergeborene Julia auf, Hoffmanns (und Kreislers) ehemalige Geliebte, die auch gegenwärtig eine Beziehung mit beiden Män– nern eingeht , ••••••.• noch nicht genug der Verwirrung? Nun gut, wenn man sich konzentriert und sei– ne Phantasie zu Hilfe nimmt, erobert man sich ~in besonderes Lesevergnügen, allerdings mehr intellektueller als emotioneller Natur,

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