Steyrer Tagebuch Nummer 14, Oktober 1983

12 Basiskultur sein sehr bald mit der neuen stellung abgefunden hat, wie sonst könnte ihr teilweise erhaben-snobistisches auf– treten bei öffentlichen anliegen ver– standen werden, sehr viel gerede um des redens willen, sehr viel schein– bar bewußtes engagement als kompensa– tion innerlicher persönlichkeitskri - , sen und über triebenen selbstmitleids . man darf hoffen, daß einige . unserer aufstiegsfanatiker einmal die untersu– chung „der mythos von der mittelschicht " in die hände bekommen , wo einkornmens– statistisch nachgewiesen wird , das sich viele durchschnitt lich verdienende leu– te in einer wesentlich höheren gesell~ schaftlichen position wähnen als sie tat – sächlich sind . steyr besteht ja ohne– hin zum großteil aus leuten , die sich für was besseres halten als der durch– schnitt der sie sind . die nachkriegsgeneration also leidet am meisten unter der geistigen verelen– dung, und für viele ist aus mangel an gesellschaftlichen umsetzungsrnöglich– keiten hineinfressen statt ausgären las– sen die devise . während viele aus öko– nomischen gründen erwachsen spielen müssen und sich nicht verweigern können, werden manche vor lauter verweigern über– haupt nie erwachsen . nachdem die bewegung für ei~ offenes jugend- und kommunikationszentrum daran scheiterte , daß die gemeindeverantwort – lichen die verantwortung in so einem haus den jugendlichen übertragen wollte~, begannen gleichzeitig mit den aus organi~ sationsschwäche zerfallenden kuckucks– nestgruppeaktivitäten die etablierten parteien, einmal auf die idee gebracht, ihren eigenen traum von offener jugend– arbeit zu träumen . nicht unbeträchtl; che summen wurden aus mangel an wirklicher situationskenntnis und/oder alibigründen in prestigeobjekte gesteckt , die sich vor allem mangelnder annahme durch pro– blemjugendliche erfreuten, um die es ja eigentlich ging . bel iebter jedenfalls war bei der ziel– gruppe jedenfall s der verein bas iskultur und vor al l em sein lokal in der wehrgra– bengasse. aus selbsthilfemotiven ent stan– den und sich autonom begreifend finanzier – te sich die basiskulturmannschaft die ak- tivitäten aus eigenen mitteln . die idee der gleichheit der mitglieder hat sich vor allem AUS MANGEL AN SOLIDARISCHEM VERHALT~ vieler benützer nie durch– gesetzt . jugendzentren sind allerdings irgend– wie ghettos . problerne , die die gesell– schaft erzeugt können nicht durch das ~usammenfassen der betroffenen an einem ort mit relativem fr~iraum gelöst wer– den . vielmehr müßten die ursachen P~ der wurze l bekämpft werden . die ur– sachen der Je thargie bei so vielen liegen in unseYer pha.11tasielosen stadt– umwelt, der gerin~en demokratischen~ entfaltung unserer gesellschaft und der niederhaltenden, entfremdenden arbeits– welt, faktoren die sich einer verände - • rung widersetzen . wie auch kann in ei– ner korruptionsträchtigen lebenssphäre die not~endige existenzielle zielfin– dung der jüngeren generation ermöglicht werden . diese stadt braucht einen kulturkampf , der eine umwertung der werte beabsich– tigt . der kulturkrampf von oben äußert Eich im programm der stadteigenen kinos wi P. ::im k-ll l turellen niveau des stadtfest c9, das zu einem wettsaufen aus~rtete , in äußerst bedenklicher wei – se . oder ist steyr eine stadt der idi– oten und säufer? ebenso bedenklich ist das angebot des jugendreferats im kul– turamt , und die hinderlichen abgaben für kulturelle veranstaltungen , mitsamt der lobbyistischen handhabung der befreiung davon , ausdruck mangelnder offenheit, vollenden die l~nie hin zum kulturellen grab , das dieser stadt geschaufelt scheint . sicherlich , von unten gab und gibt · es initiativen, und so gibt es auch alter– nativen zum offiziösen kulturarntspro– gramm . doch nicht wie anderswo , wo auch fortschritte in der kultur von sozia– listen verstanden und gefördert werden, verschließt man hier dem kritischen kul – turspektrum säle und ganglien . bei uns wurde der dialog mit der jugend verschla– fen, sodaß viele ihr ges ellschaftsför– derndes p'otential verinnerlichen müssen oder ' gar in neurosen verfallen . der verein basiskultur schaffte es,trotz finanziellem dauernot - stand , eine beachtliche reihe ein– zigartiger kulturerlebnisse zu ver– mitteln , und war sogar etwa in sa- chen wehrgraben weit in jene gesell– schaftlichen gruppen hinein wirksam , die eigentlich ablehnend gegen diese zusammenrottung der schwarzen schafe auftraten . · der lokalbetrieb selbst ist oft an den mangelnden möglichkeiten aufge-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2