Steyrer Tagebuch Nummer 13, Sommer 1983

--ö ...;---~ -- ~ Leserforum IN l:>f'R STADT / Lohnt es sich für uns noch alt zu werden? Sie wissen nicht, wie der Tag vergeht,er geschieht einfach . Sie sind müde gewor – den. Wozu noch die Medikamente schlucken, fra– gen sie mich - sie lindern vielleicht die Schmerzen , aber das innere Weh, das bleibt. Ob in Heimen oder in Wohnungen, ganz sel– ten bekommen sie Besuch, es hat niemand 3 Zeit für sie. Viele von ihnen sind schon sehr senil, in ihrem Kopf ist alles wirr. Oftmals verhalten sie sich aggressiv an– deren, auch mir, gegenüber. Durch das vie– le Alleinsein haben sie viel Zeit zum Nach– denken. Dann tauchen die quäl~nde~ geda~- . ken auf die sie zermürben; sie fuhlen sich hilflos, auf dem Abstellgleis und sehen kei– nen Ausweg - darüber sind sie wütend und begehren auf. Wir verstehen das oft nicht und sagen einfach: "Na, der oder die Alte spinnen heut wieder" und überhören den an uns gerichteten Hilferuf. Die Menschen wollen reden, sie wollen, daß wir uns mit ihnen beschäftigen, daß wir uns für sie interessieren, daß wir ihnen Ver– ständnis entgegenbringen. Oder, daß wir sie einfach spazieren fahren oder mit ihnen et– was . spielen. Zum Reinigen der Wohnräume, zum Putzen und Essen servieren ist genug Personal da, aber ganz bewußt für den alten Menschen hat · der Angestellte zuwenig Zeit. Hiefür ist der Dienst nicht eingeteilt. Ge– rade aber weil sie nichts mehr mit sich an– zufangen wissen, brauchen sie jemand, der sie motiviert. Nicht nur in den Anstalten, auch in den ei– genen vier Wänden fühlen sie sich sehr oft alleingelassen. Hinzu kommen häufig noch Al– tersbeschwerden ~nd alle möglichen Gebrechen. Wäre es nicht schön, gut und wichtig für sie , wenn zu bestimmten Zeiten Sozialhelfer zu ihnen kämen . und Arbeiten für sie durchführ– ten, deren Erledigung die alten Menschen nicht mehr schaffen? Sollte etwa unser So– zialstaat dafür kein Geld haben?! Schon mehrmals hat mir ein alter Mensch ge– klagt:"Sovieles habe ich erlebt - Schönes, weniger Schönes, aber daß es so kommen wird habe ich mir nicht gedacht !" Elisabeth Tichler