Steyrer Tagebuch Nummer 12, Mai 1983

Literatur DORT WO MA DIE BÜCHER VERBRE T, VERBRE T MAN AUCH AM E DE ME SCHE • (H . Heine) 10 . Mai 1933 Alles \l/as sich gegen den Machtanspruch c.Jes nationalsozialistischen Gedankengutes stell– te, \l/urde an diesem Ta~, so glaubten viele, den Flammen des Scheiterhaufens übergeben und sollte somit für immer aus der deutschen Geschichte verbannt sein . Oblllohl mit dieser Aktion genau das Gegenteil erreicht \l/urde, sollte man sich gerade heute jener Schrift– steller erinnern , c.Jie unter Folter und Ver - 21 immer unterstützte, schrieb, als Haupt– mann schlllieg und zusah, lllie man die Frei– heit des Geistes unterdrückte: "Hier starb jemand vor seinem Tode, ver– achtet selbst von denen, die von allen ver– achtet sind . Sein Andenken soll verstaubt sein unter Disteln, sein Bild begraben im Staub. 11 • folgung zu retten versuchten, lllas nbch zu Viele dieser damals für das Dritte Re ich retten lllar . Viele starbe,1 an den Mi □hand- aktiven Schriftsteller sind heute in un- lungen (E . Mühsam) , oder verarmten und ver- seren Schulbüchern zitiert und sollen Vor- einsamten , manche nah111en sich aus Verzlllei f- bilder für die Jugend sein . G. Benn be- lung das Leben (E. lJeiO, [ . Toller, S. Zllleig, kannte sich fanatisch zu diesem neuen K. Tucholsky), viele aber schllliegen und be- Staat , einem Staat, der alles \l/as ihm zu- kannten sich zu diesem neuen Herrenstaat. lllider lief vernichtete, der aus l~ahrheit Von heute auf morgen lllUrde all das verboten, Lüge machte und aus Freiheit Knechtschaft. lllas vorher das kulturelle und geistige Deutsch- Als man H. Mann aus der Akademie der \vis- land repräsentierte . Schriftsteller lllie : senschaften ausschloß, gab es nur eine T. Mann , Zllleig , Toller, Mühsam, Mehring, Schriftstellerin - Ricarda Huch- die sich Soyfer , Remarque , Heine, Keun , Brecht, Käst- mit ihm solidarisch erklärte . 88 deutsche ner, Stevenson , Hesse, K. Mann, Musil, Döb lin, Autoren hingegen unterschrieben stattdes- Wei □ , Friedell, Hasenclever, Gorki, London, sen die sc~nachvolle Huldigung an ihren Ro lland, Malraux , Sinclair, Graf, Bloch, Goll, Führer A. Hitler . Viele schllliegen auch Seghers , Kerr u. v. a . \l/urden unter Fanfaren- als Goebbels vor Buchhändlern und Verlegern und Trompetenklängen von fanatischen Profes- sagte : "\~ir \l/erden auch den Zeitgeschmack soren und Studenten vor den Universitäten ändern!" als entartet erklärt und ihre Bücher den Flam- men übergeben . Der Scheide\1/eg lag damals sicher nicht Zllli– schen rechts und links , \l/ar keine Frage von Radikalität oder radikal oder konservativ, sondern lediglich eine Frage des Charakters und der Menschlich– keit . Ernst Toller, entsetzt über die Gelllaltherr– schaft des neuen Deutschland an Schriftstel – lern und politisch anders Gesinnten, schrieb in seiner Anklage : "JEDER, der hören lllollte, hat hören können, jeder, der lllissen lllill, muß lllissen . Wer nicht hören lllollte, \l/ollte nicht hören \l/er nicht llleiß, lllill nicht lllissen, Was können lllir aus dem Vergangenen lernen? Ich habe heute das Gefühl, daß \l/ohl keine Bücher verbrannt \l/erden, die Gehirne der Menschen aber lllohl durch das riesige Ange– bot an Trivialliteratur verzerrt \l/erden. Ich fürchte, daß in der Literatur, die li– teraEische Mode und die Vermarktung zum Maßstab ihres Wertes lllerden . Literatur soll uns zum achdenken, zum Lernen , zum Leben und Handeln aus innerer Überzeugung für den Geist der Menschlichkeit anregen . Wir brau– chen ein lllahres und ehrliches Bild unserer Zeit und dazu soll uns die Literatur ver– helfen . lller vergißt, lllill vergessen . " Die Bücher sind am 10. Mai verbrannt, nicht aber der Geist , der aus ihnen~sprach, llleil Das ,Dritte Reich hat sich losgesagt von sei- es der Geist der Wahrheit ist . Den azis ner \l/ahren Dichtung, viele Schriftstellerbe- ist es nicht gelungen den schöpferischen kannten sich aber trotzdem begeistert zur ' Geist der Freiheit mit Gell/alt zu zerstören , neuen Linie (Hauptmann, Senn, Seidl • • • ). llleil dieser Geist der Freiheit unzerstör- Ist es die Aufgabe des Dichters zu schllleigen bar ist. Er sollte uns immer als Zeichen und sich mit den Barbaren zu verbinden? am Weg des Friedens stehen, denn dann ist es Alfred Kerr, der damals \l/Ohl bedeutendste der Weg der Freiheit und Gerechtigkeit . Kritiker , der G. Hauptmann verehrte und ihn