Steyrer Tagebuch Nummer 9, Februar 1983

12. Februar 1934 12. Februar 1934 Vergessener Gedenktag? Am 12 . 2.1983 schalte ich um 7 Uhr das Ra– dio ein eine Frauenstimme sagt " Guten ' F b " Morgen , heute ist Samstag der 12 . e ruar Nach kurzem Zögern fügt sie hinzu "Ein historischer Tag für die österreichische Arbeiterschaft" . Nur so hingeworfen, im Morgenjournal gab es keinen Bericht; war der Sprecherin die Erwähnung dieses Tages vielleicht ein persönliches Bedürfnis? Ist dieser Tag schon in Vergessenheit ge– raten, daß er nur mehr an runden Jahresta– gen aus der Versenkung hervorgezaubert wird? Wenn überhaupt,dann wird uns der 12 . 2 . 34 durch kürzere oder längere Berichte in den Medien über Kranzniederlegungen und Gedenk– reden in Erinnerung gerufen . Die Toten wer– den geehrt, vor dem Wiederaufleben solcher Ereignisse wird gewarnt , die Wichtigkeit des sozialen Friedens unterstrichen . Viele wissen über diesen Tag nur, daß es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen konservativ - faschistischen Kräften und dem linken Lager kam - Heimwehr und Schutz– bund , Tote und Verwundete, Verhaftete und Hingerichtete, kurzzeitig Bürgerkriegsge– fahr ..• könnt~ man ergänzen . Wie kam es überhaupt dazu? 5 In der traditionsreichen Arbeiterstadt Steyr waren die Kämpfe besonders heftig , ein Grund mehr für uns, die Entwicklung , die zu dieser Eskaltion führte aufzuzeigen , nachzuforschen , was dieses Datum den Leuten heute noch sagt , allfällige Parallelen zur gegenwärtigen Si– tuation -wirtschaftlich und sozialpolitsch– herzustellen . Zerschossene Häuser auf der Ennsleite . (Fotoarchiv Schmitzberger) Der 12 . Februar 1934 ist ein Meilenstein in Österreichs Jungerer Geschichte, den man allerdings in einem großen Zusammenhang , als Höhepunkt einer kontinuierlichen Ent– wicklung , die von politischen und sozialen Gegensätzen geprägt war, sehen muß . Der verlorene Krieg und das Ende der Monarchie brachten tiefgreifende Ver– änderungen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet mit sch . Durch den Ab– fall Ungarns und der Tschechoslowakei ' gingen viele Industriezentren verloren, die österreichische Außenhandelsab - hängigkeit stieg stark an, Geldentwer– tung und Inflation führten zu hohen Reallohnverlusten, enorme Arbeitslo - senzahlen spiegelten die gewaltigen Schwierigkeiten wieder . Schon kurz nach dem Krieg wurde der Anschlußgedanke wie– d_er aufgegriffen, weil darin eine Mög– lichkeit zur Überwindung der wirtschaft – lichen Katastrophe gesehen wurde . Trotz des wirtschaftlichen Chaos kommt es unter Sozialminister Hanusch in den Jahren 1918- 20 zu einer revolutionären Novellierung der Sozialgesetzgebung : Arbeitslosenunterstützung, achtstündi – ger Arbeitstag, Betriebsrätegesetz , In– krafttreten der Krankenversicherung, Ba– sis für die Errichtung einer Kammer für Arbeiter und Angestellte waren die Kern– stücke , die Österreich somit die Struk– tur eines "Wohlfahrtsstaates" verleihen . Die Sozialdemokratische Partei verzeich– net bei Wahlen starke Stimmengewinne , die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften stei– gen auf über 700 . 000 , das "rote" Wien ist beispielhaft in Wohnbau - , Fürsorge- , Ge– sundheits - und Schulwesen . Das Erstarken der Arbeiterschaft ist den Konservativen ein Dorn im Auge und sie kreiieren das Gespenst der "bolschewi - stischen Bedrohung" . 1920 kommt es zur Gründung der Heimatwehr, einer paramilitärischen Organisation, die von Industrie und ausländischem Kapital

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