Steyrer Tagebuch Nummer 9, Februar 1983

Meinung zur Geschichte "AUGENZEUGE HASE" Über jenes Ereignis, das wahrscheinlich mein Leben in jeder Beziehung am meisten beeinflußt hat, habe ich erst auf der Uni wirklich etwas erfahren. Ohne den 2. We lt– krieg und die politischen Ereignisse zwi– schen 1933-45 hätten sich meine Eltern erst gar nicht kennengelernt. Ein Bekann– ter pflegt mit dem Hinweis auf diese Tat– sache die Diskussion um jene Zeit zu be– enden. Er zeigt auf die jüngeren Anwesen– den und sagt:"Ohne den Hitler gäberts euch nicht - seid's ruhig", und hält damit auch alles, was damals passiert ist, für hin - reichend entschuldigt. In der Schule sind wir mit dem Geschichts– unterricht nie soweit gekommen. Die ein– zigen Informationen über jene Zeit waren die Kriegserinnerungen einiger Lehrer in der letzen Stunde vor Weihnachten. Aben– teuergeschichten, die wir alle kennen, von wirklichem Elend sorgfältig gereinigt und so erzählt, daß der Gedanke, dies al– les könnte mit unserem gegenwärtigen Le– ben irgendwas zu tun haben, ganz bestimmt nicht aufkommt. Was mich immer am meisten gewundert hat, wenn schon keine Betroffen– heit über - freiwillig oder unfreiwillig– angerichtetes Unheil, aber auch keine Bit– terkeit über das selbst erfahrene Schick– sal, die zerstörten Familien, das zugrunde gerichtete eigene Leben, nichts davon kommt in den Veteranengeschichten vor. 13 Menschen, die neben den KZ's oder ähnli– chen Einrichttingen wohnten, hab~n nichts bemerkt. "Plötzlich sind die jüdischen Mitschüler in meiner Klasse immer weniger geworden, aber ich habe mir nichts dabei gedacht." - "Mit dem Hitler hat die moder– ne Zeit angefangen. Da sind dann immer we– niger Zigeuner gekommen und wir habe0 uns weniger gefürchtet." - "Das war eine harte Zeit. Sie hat uns nicht geschadet - im Ge– genteil." Schilderungen über selbst erfah:<-;:; -• rene Demütigung und Entbehrung in den di– versen nationalsozialistischen Organisatio– nen und als Soldaten. Aber kein Bedauern. "Es hat uns nicht geschadet". Auch hier - nichts bemerkt, nicht einmal das eigene Leid. "Es war halt so. Das haben alle ge– macht. Das ist allen passiert." Ich fürchte, die psychologischen Theorien der Verdrängung sind zu optimistisch, sind ~ für die meisten Menschen - falsch. Schlimm: denn was verdrängt wurde, kann - unter Umständen - wieder bewußt werden, so ist vielleicht späte Auseinandersetzung, möglicherweise Versöhnung mit dem angerich– teten und erfahrenen Schicksal möglich. So was Ähnliches wird anscheinend in letzter Zeit in den Medien versucht. Aber die mei– st,en der betreffenden Fernseher sehen die diversen Sendungen nicht als ein Doku - ment auch ihrer eigenen Geschichte, son– dern als Berichte über andere Leute, an ihrer Betroffenheit ist nichts von Bestür- Ich bin auf der Uni bald auf psychologi- zung über eigenes Leid und eigenes Betei - sehe Theorien über ,jene Zeit gestoßen, wa- ligtsein. rum die Menschen all das zugelassen haben Da scheint nichts Verdrängtes zu sein. Es was damals passiert ist, und v.a., wie sie schaut viel banaler aus, als wäre die wahre denn alles wieder so schnell vergessen psychische Leistung dieser Generation nicht konnten und sich an den Wiederaufbau (ei- Verdrängung, sondern ein lang geschultes - genartiges Wort, von dem ich manchmal fürch- sowas muß gelernt und geübt sein - Wegsehen– te, daß es stimmt) machten. Zentraler Punkt könne, eine stark herabgesetzte oder be - der Theorien über dieses Vergessen ist die grenzte Wahrnehmungsfähigkeit, die es er– Behauptung einer tiefgreifenden Verdrängung möglicht, schnell und präzis vorbeizuschauen als außerordentliche psychische Leistung, (möglicherweise auch in Zeiten wie diesen die dieses Vergessen angeblich ermöglicht. eine durchaus passende Fähigkeit). Nur so Es ist nicht nötig, die Überprüfung dieser kann ich mir vorstellen, daß alle Berichte Annahme den Wissenschaftern zu überlassen. und Dokumente über die Greuel und Verbre - Denn wir alle kennen Menschen, die dabei chen jener Zeit keine große Beachtung fan - waren und angeblich alles verdrängt haben, den, den Wiederaufbau keinen Moment stören und können sie fragen, Aufarbeitungshilfe konnten; sfe wurden wieder nicht bemerkt, leisten. auch hier derselbe Mechanismus. Ich habe angefangen, Bekannte und Ver - wandte der betreffenden Generation zu hdw fragen, behutsam zuerst - dann drängender. zwecklos - die meisten 'haben wirklich nichts gewußt , oder besser gesagt - und das ist sehr wichtig - sie haben nichtsbe- merkt.

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