Steyrer Tagebuch Nummer 6, November 1982

lokales - Resthof Menschen Betonblock an Betonblock, Fenster an Fenster, Kante an Kante - etwas für Menschen? Chancen, ■enschlich zu bleiben? Vielfältig, unangepaßt, personlich - i1 Resthof? Ich glaube es gibt sie, diese kleinen Chancen. Es gibt zu■ Beispiel die besonderen Tage - auch i1 Steinviertel Resthof. Die Sonne scheint an die Hauswand gegenüber. Bettzeug liegt in den Fenstern. Die zeitig in der Früh gemähten Grünanlagen riechen frisch. Ich habe das Gef □ hl, viel Zeit zu haben. Mein kleiner Sohn steht i• Pyja ■ a draußen auf de ■ Balkorr - er wird hier, in diese ■ Viertel groß werden. 11 Komm, zieh dich an, wir gehn zur Frau Jaksch", sag ich. "Ma super", schreit er. Heute schreibe ich keinen Einkaufszettel, ich habe nicht vor, im· Supermarkt einzukaufen. Eierkarton und Kartoffelsack wandern in den altgedi ~nten :inkaufskorb. Mein Sohn ist fertig. Wir fahren 1it dem Aufzug hinunter, schaun nach der Post. Die Haustür fällt hinter uns ins Schloß. Der Beton vor dem Haus strahlt schon die aufgeno11ene Wärme ab. Wir gehen um die Ecke, vorbei an grauen Garagentoren, auf einen Gehsteig zu. Neben dem Gehsteig ist ein hoher Drahtzaun, dahinter stehen dichte Tujen. Sie verbergen ein Paradies am Rand des Resthofs, ein~n Garten. Wir schlendern den Zaun entlang zum Tor. Vor dem Haus liegt die junge Hündin und schaut uns ruhig an. Das Gargagentor steht offen. Drinnen sind Holzkisten mit Kartoffeln, Zwiebeln, Gurken, Karotten. Voriges Jahr hat es noch ■ ehr gegeben, aber die Frau Jaksch war heuer krank. Unter den Obstbäumen in der Wiese ein Tisch und zwei Bänke. Ia Blumengarten gibt es je nach Jahreszeit Rosen, Gladiolen, Zinnien, Astern, Kapuzinerkresse, Ane ■ onen. Dahinter liegen kleine, glasüberdeckte Beete für Schnittlauch und dergleichen. Hinten i1 Ge ■ üsegarten sehe ich zwei gebückte Gestalten. Ich rufe nicht gleich, lasse ■ ir Zeit. Mein Kleiner 17 hängt am Brunnenrand und plätschert 1it den Fingern im Wasser. Eine andere Frau ko ■ mt zum Tor herein. Wir begutachten in aller Ruhe Obst und Geaüse und unterhalten uns. Inzwischen ist die Frau Jaksch herangekommen. Weiße Locken unter einem Strohhut, blaue Augen, Ruhe, Gelassenheit, Würde, Ausdauer, Zufriedenheit. Resignation? - Sie hat es schwer gehabt, hat gekämpft, hat ,anches erreicht und sich mit der Unabänderlichkeit 1ancher Dinge abgefunden. Sie trägt eine weite blaue Schürze und schwarze, erdige Gummistiefel. Sie kommt zu uns in die Garage. Wir begrüßen uns wie alte Bekannte. Ich nehme von überall ein bißchen: Zwiebeln, Porree, Petersilie, Schnittlauch, Zwetschken, zehn braune Eier, ein bisserl Heu fürs Meerschweinderl, ein Kilo mehlige und zwei Kilo speckige Erdäpfel. Nicht zu viel, ich will ja bald wieder kom■ en. Ein rothaariges und ein dunkelgraues Katzerl balgen sich auf der Wiese. Ich setz mich noch ein bisserl hin - Zeit für ein ruhiges Gespräch, Der Herr Jaksch geht vorbei. Bedächtige Schritte, ein blaues Schlossergewand, Guamistiefel, ein sonnverbranntes, Gesicht. Er grüßt, geht in den Stall. Mein Sohn rennt hinterher, er will sich die Ferkel ansehen. Ich bekoame ein paar Blu•en geschenkt, lege sie quer über meinen Gemüsekorb und freue mich Ober die Schätze, di•e ic-h hei-a..tragen werden. Mein Sohn jubelt über die Katzen. Ich schaue Öle Frau Jaksch an - eine liebe alte ernste Frau. Sie und ihr Mann, den Garten und alles, was sie mi~ ~chon erzählt hat, möchte ich nicht missen. Sie war früher einmal Melkerin auf de• alten Resthof. Ich möchte gerne mehr über ihr Leben wissen - irgendwann wird der richtige Tag sein und ich werde sie bitten, mir zu erzählen, wie das alles war. "Auf Wiedersehen, Frau Jaksch". Wir verlassen die Oase und kehren zurück in unsere "Lade" i ■ Wohnblock. Ich wohne gern drinnen - es gibt ja ganz in der Nähe einen Garten und Menschen. g d

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