Steyrer Tagebuch Nummer 3, Juni 1982

DiE unbewußte gewaltsame Ausbeutung Ei kleiner Urlaub steht be– vor . Ich muß noch alles mög – liche vorbereiten und einkau – fen . Im Kaufhaus gehe ich von Regal zu Regal . Im Einkaufskorb landen Brot , Käse , Geselchtes , Eier , Löskaffee , ein paar Päck – chen Erdnüsse , Obst und Gemüse – konserven , Schokolade , ein Baum– wollhemd und eine Jean . Fürs Auto brauche ich noch neue Rei – fen , Öl und Benzin . Zufrieden fahre ich nach Hause , voll Frer de auf den Urlaub , den ich mir redlich verdient habe . Zu Hau – se erwartet mich meine Familie , wir packen alles ein - es kann losgehen ! Ja , für uns geht es los , das große Vergnügen . Was aber ge – schieht gleichzeitig , damit für uns dieses Vergnügen mög - 1.i:h~ist ? Jemand behauptet gleichzeitig und in direktem Zusammenhang mit meinem Ein– kauf für den Urlaub geschieht Ausbeutung, gewaltsame , bruta– le Ausbeutung . Entrüstet weise ich alle Vorwürfe zurück ! Aber die unangenehmen Fragen beginnen erst . woher kommen die Dinge , die ich eben ge – kauft habe , unter welchen Be– dingungen wurden sie erzeugt , und wer hat daran verdient? Keine Ahnung . Ich bin versucht zu sagen : 11 Interessiert mi eh auch nicht , Hauptsache es war billig" , sage es aber nicht , vielleicht aus der dunklen Ah– nung heraus , daß etwas nicht stimmt . Stück für Stück versu – che ich herauszufinden, wo die Sachen herkommen . Beim Kaffee i s t es Mittelamerika , auch bei den Ba nanen ; die Obstkonserven kommen aus Indonesien, die Erd– nüsse aus dem Senegal . Beim Fleisch und den Eiern ist es komplizierter - sie kommen zwar aus Österre ich, aber woher kommt das Kraftfutter? Zum Teil ist Fischmehl enthalten , 9 das aus Peru kommt und Soja, des – sen Herkunft ich nicht genau eru – ieren kann . Also kommt auch ein Teil des täglichen Fleisches aus Entwicklungsländern? Auch bei der Sch ok ol ade ist ·es verwick elter , sie kommt zwar aus der Schweiz, aber der Kakao wird kaum dort wachsen , vielleicht kommt er aus Westafrika oder aus Brasilien . Je mehr ich nachforsche, desto unangenehmere Gefühle steigen in mir auf . Der Kautschuk meiner Rei – fen - kommt er aus Malaysien oder Thailand? Die Baumwolle meiner Sonderangebot-Jean? Es läßt sich nicht leicht , viel leicht gar • f nicht eruieren . Meine unangenehmen Gefühle kommen nicht davon , daß soviel aus den Entwicklungsländern kommt (d as könnte sich ja positiv auf die dortige Wirtschaft auswirken), was mich vielmehr beunruhigt ist die zweite Frage: Wer hat sie unter welchen Bedingung en erzeugt und wer hat verdient? Zuviel habe ich gerade gehört von den Bedin– gungen in Mittelamerik a , in den anderen Entwicklungs ländern sieht es nicht viel bes ser aus . zum Bei – spiel , daß der Verdienst der Ba– nanenbauern für a usreichende Ernäh – rung nicht genug ist. Plötzlich kommt es mir pervers vor, daß je– mand , der seine Kinder nicht er – nähren kann, auf seinen Feldern Bananen oder Kaffee anbaut , an– statt Mais, Kartoffel oder ande - re Grundnahrungsmittel. Plötz - lich verstehe ich, wie so dazu brutale Gewalt notwendig i st . Erdnüsse aus dem Senegal für Eu– ropa? Wie kann ein Land der Sa– helzone , eine der größten Hunger – zonen der Welt, auf seinem Boden Erdnüsse zum Knabbern für Euro– päer anbauen? Sollte auf dem Welt– markt für all diese Produkte ein so hohes Preisniveau sein? Auch nicht. Im Gegenteil - haben sich doch die Austauschbedingungen zwischen Industrie- und Entwick – lungsländern ständig zu Ungunsten der Entwicklungsländer entwickelt.

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