Steyrer Tagebuch Nummer 3, Juni 1982

Steyr , eine Kulturstadt? In einem Raiointerview im März meinte der Architekt Gustav Peichl , Steyr könne man als Kulturstadt vergessen , wenn der Wehrgraben zugeschüttet wird . Postwendend stellt sich da na – türlich die Notwendigkeit , ein – mal zu untersuchen , was es mit der Kultur in dieser Stadt auf sich hat . Und ohne zu hinter – fragen,· was Kultur überhaupt ist oder sein soll , muß behaup – tet werden , daß es um die Kul – t u r in diese~ Stadt schlecht bestellt ist . Das Bewußtsein der Menschen dieser Stadt scheint sich nicht sehr weit über den normalen Alltagsrahmen hinauszubewegen . Die Bedürfnisabdeckung der Be – iölkerung scheint mit Essen und Fernsehen die Obergrenze erricht · zu haben . Steyr ist eine Arbeiterstadt mit hoher Ka ufkraft und bürgerlichem Be – wußtsein . Hier bewahrheitet sich die Marxistische These , daß eine aufsteigende Klasse - in der gegebenen gesellschaft – lichen Situation die Arbeiter - im laufe der Kämpfe um gesell – schaftliche Macht das Bewußt – sein der herrschenden Schicht ann i mmt , mi t dem faden Beige– schmack einer Stillosigkeit noch dazu. In der roten Hochburg Steyr se – hen wir diese Situation ziem– li c h kraß . Die Mängel der Stadt– architektur der letzten zwan - zig Jahre haben uns Schlafsied– lungen bescsert , die durch nichts dazu angetan sind , der Verbür – gerlichung der Arbeiter , sprich : Vereinzelung des Individuums in sei ner Wohnung , entgege~wirken zu können . Leider bestehen d·ie Bedürfnisse des Menschen nach Kommunikation mit anderen in einer primitiven Zur Schau Stellung dessen was man hat, die Schäden des Zweiten Weltkrieges sind immer noch in der Sehnsucht nach Ruhe und 19 und sich ja nicht exponieren auffind– bar , das Wohlstandsdenken, als Gegen– gewicht zu erlebter Armut in der Ju– gend der 30-50-er Jahre führt uns zu gesellschaftlichen Problemen, die der Jugend heute den Weg zo einer mensch– lichen Freiheit zumauern. Der Freiraum ist verlorengegangen, die Notwendigkeit einer hohen Mobilität hat zu einem Verbetonieren sehr vieler Naturräume geführt, der Mensch ist sich selbst mehr und mehr entfremdet worden. Und genau hier, in einem feststellbar schlechten Zustand einer Stadt müßte die Kultur einsetzen, um wenigstens im geistigen Freiraum, den ja jeder Mensch hat , eine Entbindung von den Zwängen des finanziellen Überlebens zu ermöglichen. Hierorts jedoch steckt das alles erst im Anfangsstadium. Schauen wir zurück: Anfang der siebziger Jahre hat fast jeder gebildete junge Mensch vor Steyr das weite gesucht. Nur ja nicht hier , da ist nichts los. Kein Wunder, gab es doch nur das offizielle Pro– gramm des Kulturamtes, das mit einem unkritischen passiven Programm den beschissenen Eindruck vermittelte, es handle sich bei Steyr um ein etwas zu groß geratenes Dorf . Traditionell ver– brämte Musikveranstaltungen vermisch– ten sich mit Vorstellungen des damals noch sehr provinziellen Landestheaters und gelegentlichen Dichterlesunga,. Ein Einsch.lafprogramm zur Ermöglich– ung gesellschaftlicher Treffs einiger Bürger, von Arbeiterkultur sowieso weit und breit keine Spur. Bis dato hat sich schön langsam we– nigstens was verbessert; Mitte der Siebziger begann langsam das durch die Studentenbewegung der Sechziger– jahre entstandene Gefühl für eine Er– neuerung der Kultur von - unten (Sub– kultur) auch in Steyr sich in die Wirklichkeit umzus etten . Gepaart mit der Forderung nach einem selbstver– walteten Jugendzentrum begannen Ju– gendl.i:he, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, auf nichts zu warten, sich selbst das Programm zu machen, nach dem Sehnsucht da war. Das hat zu einem Umschwung geführt, der sich heute in den Aktivitäten verschiede– ner Gruppierungen in Steyr äußert,

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