Steyrer Tagebuch Nummer 0, März 1982

VON GAB I DONNER -~ · Mi t g 1 i e d des ' Ve r - - eines zur Förderung der Gemeinwesen– arbeit imStadtteil Resthof' (Siehe auch Seite 14) ACH SO, SIE WOHNEN I: M RE STHO F Wenn mich früher jemand nach meiner Wohnadresse fragte, entstand ungefähr folgendes Gespräch "Ich wohne im Resthof." -- "Was, im Resthof? Und fühlen Sie sich dort wohl?" -- "Na ja." -- - "Wo Wohnen Si~ denn im Resthof?" -- "Im Hochhaus." -- "Um Gottes Willen, dort ist es jn am schlimmsten r' -- "Na ja, ich r: 1.ac: 1' halt meine Wohnungstür zu und kümmere mich nicht um das, was so vorgeht: Die Wohnungen an sich sind ja ganz schön." Das ging so eine ganze Weile. Immer diegleiche Reaktion, immer Minderwer– tigkeitsgefühle meinerseits, Angst vor den Nachbarn, Isolation. Eines Tages hatte ich genug davon. Ich er– innerte mich an einen alten Freund aus Schultagen, an Aristoteles, der den M~nschen als 'zoon politikon' be– schreibt, als ein Wesen, das ein natür liches Bedürfnis nach Zusammenleben und Zusammenarbeit hat. Also faßte ich d e n Mh t un d k n ü p f t e v o r s i c h t i g Ge s p r ä- - ehe an. Ich stellte fest, daßes den anderen genauso ging wie mir - da war zwar ein Kontaktbedürfnis, aber es gab auch eine ausgeprägte Angst, in Schwierigkeiten zu kommen, in Trat– schereien verwickelt zu werden, Angst vor Kritik, Angst vor Konkurrenzzwang. Ich wagte es mir etwas auszuborgen, bot auch meine Hilfe an, demonstrierte Vorurteilslosigkeit, veranstaltete eine Kindergeburtstagsjause, einen Kinderfasching, lud Kinder und ihre Eltern ein •• Die Reaktionen waren un– terschiedlich: manche wollten nicht ko -mmea, andere kamen zwar, vermieden aber, sich etwas ähnliches in der ei– genen Wohnung 'anzufangen', nndere nahmen die Einladung mit Freuden a~– Wir führten Gespräche, ich wurde ein- geladen, ganz Mutige und Aufgeschlos– sene ließen sich auch einmal helfen, ohne sich wie Bettler vorzukommen. Bei den Gesprächen stellte ich fest, daß im Resthof ungefähr folgender Grundton herrscht: ich brauche nie– manden, ich bin unabhängig, ich mach' mir lieber alles selber bevor ich an- DIE SEITE FtlR DIE RESTHOFER dere um Hilfe anbettle, man muß sich in Acht nehmen, denn die Leute im Resthof sind stur, falsch, primitiv, kriminell - der Exekutor geht ein und aus, Streitereien sind an der Tages– ordnung aber schön wär's schon, wenn man mit jema~riem reden könnte ••• Ich lernte eine junge ledige /1,1!.itter kennen - natürlich geht es in ihrer Wohnung am meisten 'zu'. Inzwischen kenne ich sie gut, und siehe da, die Leute, die zu jeder Tages- und Nacht– zeit in ihrer Wohnung ein- und ausge~ hen, sind ihre Schwestern, samt Freun– den und Freundinnen, die in einer ähnlci schwierigen Lage sind wie sie oder auch solche, "bei denen alles in Ordnung ist". Sie ist eine der wenigen, die es schon einmal _ riskiert,mir auf den kleinen Sohn aufzupassen und sie nimmt auch alle damit verbundenen Schwierigkeiten in Kauf. Sie hat auch eine Menge Leute, die sie nicht im Stich lassen, wenn ihr Auto einmal st streikt •.• Vielleicht gibt es auch einmal Streit, na w~nn schon - lieber ein bißchen Kritik in Kauf nehmen, lieber einmal e_ine Enttäuschung ver;.,. ;:– kraften, aber den Leuten beweisen, daß man s i ch nicht in seinen vier Wänden einsperren lassen muß. Ich hab' Schwierigkeiten - natürlich, so wie andere auch, das Leben ist halt kein naives Bilderbuch. Aber es gibt ja nicht nur meine persönlichen Probleme, die werden ziemlich klein, wenn man sich auch ein bißchen für an– dere engagiert. Im Resthof gibt es ein paar Leute, denen ich mich angeschlos– sen habe. Sie bahne mir gleich gesagt: Wenn du mitmachen willst,mußt du Kri– tik vertragen, wir erwarten von dir, daß du Zeit und Mut investierst, Vor– schläge machst. Vielleicht freut dich das. Wir machen es aber manchmal auch unproblematisch und gemütlich, fahren miteinander essen, tanzen und führen auch harmlose Gespräch~. Diese Leute si~d ein Verein. - Vereins– meierei? - Ja, natürlich, aber recht positiv. . Ziel : menschliche Isolation im Resthof abbauen, Probleme der Resthofbewohner erkennen, formulieren, besprechen, Lö– sungen suchen - einige Lösungen sind schon gefunden worden unsere Kinder müssen nicht mehr pendeln, denn es gibt jetzt eine Nachmittagsgr~ppe im Kinder– garten .' Die Bewohner haben selbst Spiel– plätze gebaut, die jetzt auch ehemaligen Gegnern gefallen,ee~ wurde dazu beige-

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