Josef Werndl 1831-1889 Leben und Werk

JOSEF WERNDL 1831-1889 LEBENi UND y i; DL

WERNDL UND SEINE ZEIT Josef Werndl wurde in eine Welt hineingeboren, in der noch an den traditionellen Werten des Handwerks festgehalten wurde. Schon bald aber erkannte er, daß die Konkurrenzfähigkeit des Einzelbetriebes nur durch Umstrukturierung, d. h. durch den Einsatz von Maschinen gewährleistet werden kann. Seiner Meinung nach lag die Zukunft in der Industrialisierung der Gewerbebetriebe und der damit verbundenen Massenfertigung. Diese Ansicht erwies sich als richtig, denn durch die verschiedensten Erfindungen rückte die Welt in diesen Jahrzehnten tatsächlich immer näher zusammen, und die Absatzchancen stiegen. Morse entwickelt 1837 den ersten brauchbaren elektromagnetischen Schreibtelegraph; Philipp Reis erfindet 1860 das Telefon. 1825 wird in England die erste mit Dampfmaschinen betriebene Eisenbahnstrecke mit einer Stephenson-Lokomotive in Betrieb genommen; in Österreich fährt 1847 die erste Dampfeisenbahn auf der Strecke Wien—Brünn-Oderberg. Die Weltausstellungen 1851 London, 1855 Paris, 1862 London, 1867 Paris, 1873 Wien und 1889 Paris boten eine zusätzliche Möglichkeit, fremde Absatzmärkte zu erschließen. Die neuen Produktionsmethoden führten aber auch zu einer sozialen Umschichtung. Neben dem Großbürgertum entsteht eine neue Bevölkerungsklasse: der Fabriksarbeiter. Kurz, die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Zeit des Aufbruchs. Werndl erkannte die Zeichen seiner Zeit rechtzeitig und nützte die Chancen, die ihm geboten wurden.

JUGENDJAHRE UND AUFSTIEG Josef Werndl wurde am 26. Februar 1831 als Sohn einer Handwerkerfamilie in Steyr geboren. Sein Vater, Leopold Werndl, zählte bereits zu den größten Armaturenerzeugern, und dank seiner Tüchtigkeit expandierte sein Betrieb immer weiter. Daher wurde 1835 die Lettmühle mit der vorhandenen Wasserkraft in Oberletten erworben. Zeitweise arbeiteten dort bis zu 500 Arbeiter an der Herstellung von Gewehrbestandteilen. Auf Wunsch des Vaters wird Werndl nach 6 Jahren Normalschule in Steyr zu Früh- wirth, einem der besten Gewehrmacher Wiens, in die Lehre geschickt. Nach Beendigung der Lehrzeit und kurzer Gesellenzeit in Prag kehrt der junge Werndl in das Vaterhaus zurück und erlernt die Feilenhauerei. Der Zwang des Elternhauses und die althergebrachten Arbeitsmethoden, an denen sein Vater festhielt, treiben ihn aber auf Wanderschaft. In Wien meldet er sich 1849 freiwillig zu einem Chevaux-legers-Regiment. Nach sechsmonatiger Ausbildung wird er aber aufgrund seiner technischen Kenntnisse in die alte Gewehrfabrik in Wien-Währing, die damalige staatliche Waffenfabrik, abkommandiert. Dort erlernt er den Zusammenbau der Armeegewehre und arbeitet an den aus Amerika eingeführten modernen Maschinen für die Massenproduktion. Nach der Freistellung, veranlaßt durch seinen Vater, kehrt Werndl als Zwanzigjähriger zum zweitenmal nach Steyr zurück. Er freut sich auf die Zusammenarbeit mit seinem Vater, ist aber davon überzeugt, daß die Zukunft des elterlichen Betriebs vom Einsatz moderner Maschinen abhängig ist. Aber wieder stößt er auf völliges Unverständnis seines Vaters, der die Zeichen der Zeit nicht versteht. Da eine Zusammenarbeit unter diesen Umständen unmöglich ist, geht Werndl 1852 zunächst nach Thüringen, wo er in den leistungsfähigen Waffenfabriken arbeitet, und schließlich nach Amerika. Zunächst findet er als Schlosser in der Waffenfabrik Remington in Illinois Beschäftigung, dann bei der Gewehrfabrik Colt in Hartford. Mit Berechnungen und Zeichnungen modernster Maschinen kehrt er 1853 nach Steyr zurück. Er kauft die Kettenhuber Schleife im Wehrgraben und heiratet 1854, nunmehr selbständig und finanziell gesichert, seine Jugendliebe Der „Navy-Colt“, eines der berühmten Marinemodelle von Colt, 1853 Karoline, geb. Heindl. Nach wie vor stehl aber sein in Amerika gefaßter Entschluß fest, die Kenntnisse des neuesten Standes der Maschinenbautechnik und der indu striellen Fertigung voll einzusetzen, um die beginnende Vorherrschaft der billige ren amerikanischen Waffen auf dem euro päischen Markt zu brechen. Werndl wartet auf seine Chance, und seine Zeit kommt schneller als vermutet. Zeugstatt am Wehrgraben bei Steyr, 1833

Der Beginn seines Aufstieges zum Großunternehmer fällt tragischerweise mit dem Tod des Vaters zusammen, der 1855 Opfer einer Cholera-Epidemie wird. Für ihn, als ältestem Sohn, ist es selbstverständlich, seine Mutter bei der Weiterführung des Erbbetriebes mit seinen Erfahrungen tat- kräfig zu unterstützen. Während dieser Zeit beginnt Werndl den Betrieb systematisch zu modernisieren. Die ersten Maschinen zum Bohren, Drehen und Fräsen von Waffenteilen werden angeschafft; der Armaturenbetrieb kann nun die Herstellung von Gewehrläufen aus massiven Gußstahlbarren übernehmen. Diese industrielle Ausstattung kommt bei den Vorbereitungen des Krieges mit Sardinien 1859 voll zum Tragen, denn Werndl hatte rechtzeitig den Gewerbebetrieb in einen kleinen Industriebetrieb umgewandelt. Trotz dieser günstigen Lage treibt Werndl die Entwicklung eines Hinterladergewehrs voran. Er studiert zielstrebig die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme und erkennt, daß die Lösung des Verschlußproblems auf eine einfache und billige Art erfolgen muß, wenn der neue Hinterlader ein Erfolg werden soll. Ab 1861 ist daher Werndl gemeinsam mit seinem neuen Werkmeister Karel Holub, den er aus der staatlichen Waffenfabrik in Wien kannte, bemüht, ein System zu finden, das diesen Vorstellungen entspricht. Schließlich ist 1863 der erste Entwurf des Wellenverschlusses vorhanden, der in einer neuartigen Konstruktion alle vorhandenen Systeme übertrifft. Bei dem Wellenverschluß wird der Laderaum durch eine Welle verschlossen, deren Achse unter dem Laderaum liegt. Diese Waffe trägt im geöffneten Zustand eine Lademulde, durch die die Patrone eingeführt wird. Wird sie gedreht, so schließt sie den Laderaum ab und bringt den in ihrem Inneren liegenden Zündstift hinter die Zündkapsel der Patrone. Die Idee zu dieser Konstruktion soll, der Überlieferung nach, Werndl in der Messe gekommen sein, als der Pfarrer das Tabernakel öffnete und schloß. Daher wurde der Verschluß in der militärischen Umgangssprache „Tabernakelverschluß“ genannt. In diese Zeit fällt auch die zweite Amerikareise Werndls, die er gemeinsam mit Holub unternimmt, um sich über die Erfahrungen, die in Amerika gemacht wurden, zu überzeugen. Während Holub erst Das Stammhaus der Steyr-Werke, das „Alte Werk“ im Wehrgraben im Spätherbst mit Skizzen von Maschinen und wertvollen Erfahrungen nach Steyr zurückkehrt, kommt Werndl schon im Sommer zurück. Ihn treibt die Sorge um die bereits 1862 erworbene Jocher-Mühle, dem „Alten Werk“, in die Heimat. Ungeachtet der Krisensituation baut er seine Fabriken weiter aus und verwertet die amerikanischen Erfahrungen für die Weiterentwicklung des neuen Hinterladers. Sein Ziel ist es, möglichst bald von der Herstellung verschiedener Gewehrteile auf die fabriksmäßige Fertigung von Gewehren übergehen zu können.

WERNDL - DER INDUSTRIE Obwohl Werndl in diesen schweren Jahren praktisch um das nackte Überleben kämpft, nimmt er seiner Mutter die schwere Last der Verantwortung für den Erstbetrieb ab. Am 16. April 1864 gründet er die Firma „Josef und Franz Werndl & Comp.“, Waffenfabrik und Sägemühle in Oberletten, mit dem Sitz in Steyr. Die Geschäftsführung, die Vertretung nach außen und das Zeichnungsrecht wird Josef übertragen; Josefine, die Mutter, und Franz, einer der Brüder, sind seine beiden Gesellschafter. Grundsätzlich übernimmt Josef Werndl die technischen und Franz Werndl die kaufmännischen Agenden. Interessant ist, daß Werndl bei der Eintragung des Unternehmens in das Handelsregister beim k. k. Kreisgericht in Steyr zum erstenmal die Bezeichnung „Waffenfabrik“ verwendet. Diese Tatsache ist sicher kein Zufall, sondern ein Glaubensbekenntnis an den technischen Fortschritt. Da aus der „Waffenfabrik“ später die „Österr. Waffenfabriks-Gesellschaft“ und in der Folge die „Steyr-Werke Aktiengesellschaft“ hervorgegangen sind, kann die Waffenfabrik mit vollem Recht als Stammhaus der heutigen Steyr-Mannlicher Ges.m.b.H. gelten. Dies umso mehr, als die Handfeuerwaffenproduktion allein in den Tätigkeitsbereich dieses Unternehmens fällt. Eines steht jedenfalls fest: Werndl hatte mit der Gründung der „Waffenfabrik“ ein Teilziel erreicht. Das Unternehmen war maschinell gut ausgerüstet und konnte der kommenden Entwicklung mit Zuversicht entgegenblicken. Die Zukunft hing aber vom Erfolg des neuentwickelten Hinterladers ab. Die Zeit drängte. Eintragung der am 16. April 1864 gegründeten Waffenfabrik und Sägemühle „Josef und Franz Werndl & Comp.“ in Oberletten mit dem Sitz in Steyr in das Handelsregister Steyr vom 13. August 1864

PIONIER ALTOSTERREICHS Die ersten Jahre nach der Gründung der Josef und Franz Werndl & Comp. Waffenfabrik waren durch Absatzstockung und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Erst die Kriegsvorbereitungen gegen Italien brachten Werndl die langersehnten Aufträge. Obwohl die Meinungen über Hinterlader bei den Heeresverwaltungen noch immer sehr geteilt waren, setzte Werndl gemeinsam mit Holub die Entwicklungsarbeiten am Hinterladergewehr unverdrossen fort. Erst die Niederlage bei Königgrätz 1866 brachte die allgemeine Erkenntnis, daß der schneller schießende Hinterlader dem langsameren Vorderlader taktisch überlegen ist. Dies veranlaßte die Heeresverwaltungen aller Staaten, eine Umrüstung auf Österreichische Infanterie, Königgrätz 1866 Hinterlader vorzunehmen. In Österreich wird eine eigene „Hinterladungs-GewehrKommission“ eingesetzt, die über hundert Konkurrenzangebote überprüft. Im Herbst 1866 läßt Werndl durch Holub dem Kriegsminister, Freiherrn von John, Zeichnungen des in Steyr entwickelten Hinterladerverschlusses vorlegen. Der Kriegsminister ordnet die sofortige Anfertigung eines Holzmodelles an. Dieses Modell findet die Zustimmung der maßgebenden Kreise, und Werndl erhält den Auftrag, ein schußfertiges Gewehr vorzulegen. Inzwischen aber hatte die Prüfungskommission den vom Wiener Gewehrmacher Paget eingereichten Hinterlader „System Remington“ bereits zur Annahme empfohlen. Trotzdem setzt Werndl seinen Hinterlader zur Erprobung durch. Das Prüfungsergebnis, vom Hpt. im k. k. Artilleriestab Alfred Kropatschek festgehalten, bestätigt die höhere Feuergeschwindigkeit und betont - in Kurzform wiedergegeben - folgende Vorzüge: fosef Werndl 1831-1889

„Das Verschlußsystem Werndl besitzt neben Festigkeit und Sicherheit alle jene Eigenschaften, die für einen unvollkommen ausgebildeten Soldaten notwendig sind. Nach Abgabe von 1827 Schuß wurde der Verschluß mit Wasser übergossen, mit Staub bestreut und 48 Stunden im Freien aufbewahrt. Nach erfolgter Reinigung vom Rost konnte der Verschluß anstandslos geöffnet und geschlossen werden. Bei der hierauf erfolgten Abgabe von 263 Schuß aus dem neugereinigten Gewehr funktionierte der Verschluß anstandslos. Hervorragend sind schließlich die Handlichkeit des Verschlusses und die Einfachheit des Gewehrs.“ Wieder hatten sich die Risikobereitschaft und das rechtzeitige Erkennen des Zeittrends positiv ausgewirkt. Josef Werndl verfügte nämlich zu diesem Zeitpunkt als einziger über ein Unternehmen, das durch hielt mit diesen Überlegungen recht. Das„Werndl-Holub’sche HinterladungsGewehr“ seine moderne maschinelle Ausrüstung und die straffe Organisation die einwandfreie und zeitgerechte Durchführung eines Großauftrages gewährleisten konnte. Für die Vergabe des Auftrages an Werndl spielte der Umstand eine Rolle, daß der Industrielle Paget für sein RemingtonModell eine hohe Lizenzgebühr gefordert hatte, Werndl jedoch keine. Diese Tatsache war sicher mit ein Grund dafür, daß der Kriegsminister von John das „Werndl-Holub’sche Hinterladungsgewehr“ endgültig als „neu zu erzeugende Infanterie-Waffe der k. k. Armee“ beanfragte. Am 28. Juli wird der Antrag des Kriegsministers vom Obersten Kriegsherrn genehmigt, und Werndl erhält einen Erstauftrag über 100.000 Gewehre, System Werndl. Weitere Aufträge folgten. Das Patent über den neuen Hinterlader wurde unter dem Namen „Werndl-Ho- lub’sches Hinterladungsgewehr“ eingetragen; das Verwertungsrecht sicherte sich Werndl. Josef Werndl war sich dessen bewußt, daß sein Tabernakel-Verschluß, bzw. seine mit Holub gemeinsam gemachte Erfindung noch verbesserungsfähig war. Dennoch setzte er alles auf eine Karte. Sein Unternehmer-Instinkt sagte ihm, daß ein Hinterlader, leicht zu bedienen, widerstandsfähig und relativ billig herzustellen, bei dem vorhandenen Bedarf eigentlich leicht zu verkaufen sein muß. Werndl beAußerdem hatte er frühzeitig erkannt, daß das immer größer werdende Unternehmen möglichst ausgelastet sein muß, um preislich die Konkurrenz schlagen zu können. Daher war Werndl bei Übernahme des Großauftrages zur Herstellung der „Werndl-Holub’schen Hinterladungsgewehre“ bereit, der österreichischen Heeresverwaltung das Ausführungsrecht

seines Gewehrs vollkommen vergütungsfrei zu überlassen. Er übernahm sogar die Risken einer Währungsverfallsklausel und war bereit, für die Einhaltung der vereinbarten Lieferfristen mit seinem gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögen zu haften. Um diesen Verpflichtungen nachkommen zu können und um die erwarteten Aufträge aus dem Ausland zu bewältigen, tätigte er riesige Investitionen, damit der Werks-Ausbau vorangetrieben werden konnte. Das Leopold Werndl’sche Werk in Letten wurde vergrößert, Dampfmaschinen wurden angeschafft, um auch bei Niederwasser genügend Betriebskraft zur Verfügung zu haben. In Budapest wurde eine große Zweigfabrik für Waffenlieferungen an die Honved gebaut. Der Erfolg war da, aber das Geld wurde knapp. Die Ursache dieser Geldverknappung mag darin liegen, daß Werndl bei Übernahme des Großauftrages zur Herstellung des Werndl-Hinterladers die Kapazität seiner relativ noch immer kleinen Fabrik ferschwierigkeiten möglichst zu vermeiden, waren daher diese Investitionen nicht zu umgehen. In dieser gefährlichen Situation forderten seine Geldgeber unerwartet, anstatt einer Verzinsung der Kredite, eine Provision pro erzeugtem Gewehr. Werndl lehnt ab und entschließt sich, seine erst 1864 gegründete Firma in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, um auf diese Weise das dringend benötigte Fremdkapital zu erhalten. Am 1. August 1869 ist es soweit. Die Firma „Josef und Franz Werndl & Comp.“ wird in die „Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft“ mit Sitz in Wien umgewandelt. Die Umwandlung selbst stand unter der Patronanz der Österr. Bodencreditanstalt. Das Stammkapital der Aktiengesellschaft war in 30.000 Aktien zu je 200 Gulden eingeteilt und betrug demnach 6 Millionen österreichische Gulden. Dadurch waren die vorübergehenden finanziellen Probleme schlagartig gelöst. Sämtliche Rechte, Privilegien und Werke der Firma „Josef und Franz Werndl & Aktiengesellschaft um 5,2 Millionen Gulden übernommen. Ab 1869 leitete Josef Werndl „sein Werk“ als Generaldirektor, und sein treuer Weggefährte Holub wurde zum Direktor ernannt. Diese Funktion hatte Holub bis zu seinem Tode am 23. Mai 1903 inne. Die Aktiengesellschaft verfügte nach ihrer Gründung über 14 Objekte, die auf den sieben großen Steyr-Inseln verteilt waren; die Zahl der Arbeiter betrug 3.000. Eine der ersten Tätigkeiten als Generaldirektor war der Kauf der Gewehrfabriken F. Frühwirth in Wien und Beutz’ Witwe in Freiland a. d. Traisen. Beide Firmen konnten nach Auftragserteilung die von der österreichischen Heeresverwaltung gestellten Anforderungen bei der Herstellung des „Gewehrmodells 1867“ nicht erfüllen. Die Maschinen wurden den Werken in Steyr und Letten einverleibt, die Anlagen wurden verkauft. Die Erzeugung des „Modells 1867“ nahm immer größeren Umfang an. 1873 erteilte die österreichische Heeresverwaltung abermals große Bestellungen, diesmal das

fend. Im selben Jahr vergab die „Königlich-Preußische Heeresverwaltung“ an Steyr den größten bisher erteilten Auftrag auf Handfeuerwaffen, nämlich 500.000 „Mausergewehre 1871“. Dieser Auftrag kam nur dadurch zustande, daß Werndl es verstand, alle technischen Schwierigkeiten in überzeugend einfacher Form zu lösen. Mit berechtigtem Stolz erkannte er, daß damit der Weltruf Steyrs gesichert war. Bald erstreckten sich tatsächlich die Geschäftsverbindungen über die ganze Welt. Als Auftraggeber traten bis 1882 folgende Staaten auf: Frankreich und Griechenland (Gewehrmodell System Drehkolbenverschluß und Vorderschaftsmagazin 1874) Rumänien (Henry-Martini) Persien und Montenegro (System Werndl 1873/77) China (System Mauser 1871) Chile (System Drehkolbenverschluß und Vorderschaftsmagazin 1874 und System Kropatschek 1878) Im Jahre 1879 werden schließlich auch Josef Werndls Bemühungen um die Schaffung eines Repetiergewehrs von Erfolg gekrönt. Frankreich nimmt das von Kropatschek mit tatkräftiger Unterstützung durch Werndl konstruierte Repetier-Gewehr mit Drehkolben-Verschluß und Vorderschaftsmagazin als Französisches Marine-Gewehr 1878 an und erteilt einen Auftrag. Steyr gleicht in dieser Zeit, in der es sechs Übernahmskommissionen beherbergt, einem kleinen Babel. Diese Blütezeit der österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaft klingt auch in der Rede Werndls mit, die er 1880 bei der 900-Jahr-Feier der Stadt Steyr hielt: „Durch unsere technische Leistung stehen wir in der Qualität der Waffen unerreicht da und haben dort, wo Qualität entscheidet, keine Konkurrenz zu befürchten.“ Zwei Jahre später, um 1882, war aber ein Großteil der europäischen Heere mit Hinterladern ausgerüstet. Daher ging die Produktion bzw. der Auftragsbestand allmählich zurück und erreichte 1884 einen Tiefstand. Die Zahl der Arbeiter sank von 6.000 auf 900. In dieser Krisensituation bewährte sich abermals der unternehmerische Weitblick Josef Werndls. Er erkannte frühzeitig die ungeheure Tragweite der elektrischen Energie und nahm kurz entschlossen die Erzeugung von Dynamos, elektrischen Motoren, Bogen- und Glühlampen in das Produktionsprogramm der Waffenfabrik auf. Um dieses Programm durchziehen zu können, nahm er Kontakte mit Johann Schuckert in Nürnberg auf, traf mit Piette und Krizik aus Pilsen, die ein Patent auf Bogenlampen besaßen, ein Abkommen und übertrug dem Physiker Dr. Puluj aus Prag die Erzeugung der Glühlampen. Bereits 1883 führte Werndl auf der „Internationalen Elektrischen Ausstellung“ in Wien eine Dynamomaschine vor, die, von Dampfkraft getrieben, Bogenlampen mit Strom versorgte. Im Jahre 1884 folgte die von Werndl initiierte „Steyrer Industrie- und elektrische Ausstellung“, in der erstmals die Umwandlung der Energie fließenden Wassers in elektrischen Strom vorgeführt wurde. Während der Ausstellung wurde Steyr elektrisch beleuchtet. Damit ist Steyr die erste Stadt Europas, die eine Straßenbeleuchtung erhielt. Trotz der aussichtsreichen Entwicklung der elektrischen Abteilung galten aber alle Bemühungen der Waffenproduktion.

Die ist WaHs-GalM erzeugt in ihrem Etablissement zu Steyr in Oberösterreich: Armee - Waffen aller Art für Schuss. Stich und Hieb; Gl © w8 e b. r © für SclitaYmiDe. Börgercorjs, GenteiDflewacta, Strafloser etc. etc. sowie Scheibengewehre mit Kugelbirschstutzen mit gewöhnlicher, mittelfeiner und feiner Ausstattung für Private; Ferner: Dynamo ■ elektrische Maschinen für Bogenlicht, Glühlicht und Kraft - Uebertragung, sowie für galvanoplastische Zwecke; Bogen- und Glühlampen. Ein. Muster-Sortiment vorbenannter Waffen-Gattungen und Artikel für elektrische Beleuchtung ist in dem Baume der gegenwärtigen Sleyret Mustrie- Mi cMscta AosstolM aufgestellt und werden ebenda auch detaillirte Preis-Courante zur Verfügung des P. T. Publlcums bereit gehalten. Gewünschte nähere Auskünfte werden entweder am Ausstellungsplatze selbst oder im Directionsgebäude der Waffenfabrik bereitwilligst gegeben. Plakat zur großen „Electrischen Ausstellung“ in Steyr im Jahr 1884, bei der Teile der Stadt mit elektrischer Straßenbeleuchtung prunkten Inserat aus dem offiziellen Katalog der „Elektrischen, Landes-Industrie, Forst- und kulturhistorischen Ausstellung, Steyr 1884“

Repetier-Gewehr mit Rohrbündel-Magazin im Kolben M.80.

Nach vielen Versuchen, ein brauchbares Repetiergewehr zu konstruieren, gelang schließlich Ferdinand Mannlicher, von Werndl tatkräftig gefördert, der Durchbruch mit seinem Gewehr mit Geradzug- system und Mittelschaftsmagazinkasten, in das fünf Patronen mittels Blechmagazin eingeführt werden konnten. Im Frühjahr 1885 erhielt die Waffenfabrik einen Probeauftrag von 5.000 Mannlicher Gewehren, und kurz darauf gingen 87.000 verbesserte Mannlicher, „Modell 1886“, in Produktion.

Die nun folgende Massenproduktion von Repetiergewehren bildete eine neue Epoche in der Waffenindustrie. Wieder stand die „Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft“ im Mittelpunkt des Interesses. Ausschlaggebend dafür waren ihre hohe Produktionskapazität, die Präzision ihrer Erzeugnisse und die zur höchsten Vollendung gebrachte Auswechselbarkeit gleicher Teile. Die umfangreichen Bestellungen des Mannlicher-Repetiergewehres machten aber eine Vergrößerung des Unternehmens unumgänglich notwendig. Die Arbeiten in den elektrischen Abteilungen werden eingestellt, die maschinellen Anlagen auf die Erzeugung von Repetiergewehren umgebaut. 800 neue Spezialmaschinen werden angeschafft, die Wasserräder werden durch Turbinen ersetzt. Die Arbeiterzahl steigt sprunghaft auf 9.000 an und übersteigt 1889 die 10.000er Grenze. Inmitten dieser gigantischen Aufbauarbeit ereilte Generaldirektor Josef Werndl nach kaum viertägigem Krankenlager am 29. April 1889 im Alter von 58 Jahren der Tod. Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft, Objekt III und IV Objekt VI und VII

Objekt XIII Schmiede im Objekt I

WERNDL - DER AKTIVE BÜRGER Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in der gesellschaftlichen Schichtung ein neuer Stand: das Großbürgertum. Josef Werndl war ein typischer Vertreter dieses neuen Standes. Liberal in seinen Ansichten, sozial denkend, aber auch auf seinen Vorteil als Unternehmer bedacht, gilt er heute noch als eine Persönlichkeit, die in vieler Hinsicht weit voraussehend Taten setzte, die erst zu einem viel späteren Zeitpunkt Allgemeingut wurden. Eines steht jedenfalls fest: der langsam einsetzende wirtschaftliche Aufschwung in Steyr steht seit 1850 in engem Zusammenhang mit dem Namen Josef Werndl. Seiner Risikobereitschaft, seinem unternehmerischen Weitblick und seinem technischen Können verdankt Steyr einen Industriezweig, der durch seine große wirtschaftliche Bedeutung heute nicht mehr aus dem Stadtgefüge wegzudenken ist. Werndls Tätigkeiten als aktiver Bürger seiner Heimatstadt beschränkten sich nicht nur darauf, daß er vorübergehend Gemeinderat, Landtagsabgeordneter und Major im Steyrer Bürgercorps war, sondern er setzte auch viele soziale Taten, die zumindest indirekt dem Gemeinwohl zugute kamen. Beispiele dafür sind der Bau eines Bürogebäudes auf dem Hessenplatz, in das die Direktion der Kronprinz-Rudolf-Bahn einzog. Dieses Gebäude errichtete Werndl auf seine Kosten, denn die Anschlußbahn zur Westbahn war für Steyr lebenswichtig. Ebenso war Werndl als Generaldirektor der Waffenfabrik bei der Gründung der Steyrtalbahn durch Zeichnung einer bedeutenden Anzahl von Aktien beteiligt. 1861 ließ Werndl neben dem damaligen städtischen Krankenhaus St. Anna ein Waisenhaus für Mädchen errichten. Die Schwimmschule, Aufnahme um 1900 Eine soziale Großtat war 1863 der Bau einer Schwimmschule, die vor allem für Arbeiter und deren Kinder gedacht war. 1866 übernahm er den Jochbau der SteyrBrücke, 1867 den Bau der Brücke vom Kohlanger nach Vogelsang, 1871 die Planierung des Stadtgrabens im Bereich der heutigen Promenade und die Regulierung des Leitnerberges. Als die Schwimmschule der Fabrikserweiterung zum Opfer fiel, baute Werndl 1874 die heute noch bestehende Schwimmschule, die auch dem Eislaufsport diente. Werndl schaffte damit das erste private Freischwimmbad in Oberösterreich. 1882 kaufte Werndl mehr als sieben Hektar Baugrund, um neues Bauland für die stark angewachsene Bevölkerung zu schaffen. Diese Grundstücke stellte er anschließend der Stadtgemeinde kostenlos zur Verfügung. 1888 wurde im Gemeinderat der Beschluß gefaßt, auf einem Teil dieses Areals eine Industriehalle für eine ständige Gewerbeausstellung zu errichten. Der Gründungsfonds wurde von Werndl mit 10.000 und von der Waffenfabrik mit 9.000 Gulden dotiert. Mit dem Bau wurde erst 1896 begonnen; heute ist nur noch der Zentralbau erhalten, in dem sich nach mehreren Adaptierungen das Stadttheater befindet. Darüber hinaus finanzierte Werndl immer wieder städtische Bauvorhaben.

Ganz besonders aber bemühte sich Werndl um die soziale Besserstellung seiner Arbeiter. Ab 1870 wurde mit dem Bau von Arbeiterhäusern begonnen; 1889 waren 153 Häuser vorhanden, in denen ungefähr 600 Familien wohnten. Den Baugrund stellte Werndl kostenlos zur Verfügung, die Baukosten wurden durch einen dreiprozentigen Lohnabzug sichergestellt. Wenn jemand die Waffenfabrik verließ, bekam er die Einzahlungen in den Baufonds zurück. War er inzwischen in den Besitz einer Wohnung gelangt, so wurde sie von der Fabrik zum Ankaufspreis zurückgekauft. 1869 ermöglicht Werndl die Gründung eines Konsum- und Vorschußvereins, der den Arbeitern die Chance bietet, billig Lebensmittel und Bekleidung einzukaufen. In dasselbe Jahr fällt auch die Gründung des Arbeiter-Krankenvereins. Weitere soziale Leistungen sind die Einrichtung eines Pensionsfonds für Beamte und Partieführer (1878), ein Altersunterstützungsfonds (1884) und eine Invaliden- und Unterstützungskasse. In seinem Testament bestimmte Werndl 140.000 Gulden für Stiftungen. Davon stammten 40.000 Gulden aus einer Stiftung, die bereits 1885 von Josefund Ludwig Werndl je zur Hälfte dotiert worden war. Aus dem Zinsertrag wurden unterstützungsbedürftige Arbeiter und deren Witwen und Waisen beteilt. Um einer Würdigung der Person Werndls gerecht zu werden, muß festgehalten werden, daß alle sozialen Einrichtungen in der staatlichen Gesetzgebung nur in Ansätzen oder gar nicht vorhanden waren. / )ie ehemalige Halle der Gewerbeausstellung, in der sich heute das Stadttheater befindet. Die Werkswohnungen, die Josef Werndl auf dem Eysnfeld beim Steyrer Wehrgraben errichten ließ, sind noch heute bewohnt.

ZEICHEN DER ANERKENNUNG Das schönste Zeichen der Anerkennung der Persönlichkeit Werndls war die beim Begräbnis fast demonstrativ zur Schau gebrachte Einigkeit zwischen dem großbürgerlichen Fabriksherrn und der Arbeiterschaft. Diese Tatsache ist umso erstaunlicher, da im damaligen Bewußtsein industrielles Großbürgertum und Arbeiterinteressen bereits als einander unvereinbar entgegengesetzt empfunden wurden. Das von der Stadt Steyr errichtete Werndl-Denkmal ist ein weiteres Zeichen der Anerkennung. Die feierliche Enthüllung des Denkmals, das auf der Südseite der Steyrer Promenade, also weit entfernt von den Fabriksanlagen, seinen Aufstellungsplatz fand, wurde am 10. November 1894 vorgenommen. Entwurf und Ausführung stammen von dem Bildhauer Tilgner, der auch Werndls Grabmonument auf dem Friedhof in Steyr gestaltete. Die überlebensgroße Figur Josef Werndls steht auf einem polierten Granitsockel. Gewehre in seiner linken Hand symbolisieren seine industrielle Tätigkeit; während seine rechte auf vier Arbeiter weist, die unterhalb des Sockels aufscheinen. Die Distanz zwischen den Figuren drückt Anerkennung und Ehrfurcht aus, die dem Fabriksherrn von seinen Arbeitern entgegengebracht wurde. Ein Denkmal zum Andenken an einen Unternehmer war Ende des 19. Jahrhunderts im allgemeinen nicht üblich. Man versteht dieses Denkmal nur, wenn man weiß, wieviel Werndl für Steyr und seine Bürger geleistet hat. Das Werndidenkmal

Ebenfalls vom Bildhauer Prof. Tilgner stammt eine Bronze-Büste, die 1889 im Rathaus von Steyr zur allgemeinen Besichtigung aufgestellt wurde. Diese Büste befindet sich heute im Waffensaal der Steyr-Daimler-Puch AG. Dieser Ehrenplatz wurde völlig zu Recht gewählt, denn Josef Werndl gilt als Stammvater der heutigen Steyr-Daimler-Puch AG. I larüber hinaus erinnern Gedenktafeln am Geburtshaus in Steyr, Wieserfeldplatz 37 und am Sterbehaus, dem „Petzengütl“ an den großen Sohn dieser Stadt. Als Ehrung und Anerkennung sind auch die Straßenbenennungen zu sehen, die das Andenken an Werndl wachhalten sollen. Noch 1889 wurden verschiedene Straßen im Stadtteil Steyr/Eynsfeld nach den Vornamen der Mitglieder der Familie Werndl benannt. Die Josefgasse nach dem bedeutendsten Familienmitglied Josef Werndl, die Leopoldgasse nach dem Vater Josef Werndls, die Anna- und Karolinengasse nach den Töchtern und die Ludwiggasse nach dem Bruder des Industriepioniers. Schließlich erinnert die Werndlgasse an alle Mitglieder dieser einflußreichen Familie. Werndigassen gibt es aber auch in Linz und in Wien. Obwohl Werndl als erklärter Liberaler der Kirche neutral bis ablehnend gegenübergestanden ist, hat er auch in kirchlichen Kreisen durch sein soziales Engagement Anerkennung gefunden. Sein Bild ist in der Stadtpfarrkirche im vordersten Glas- lenster der Südfront im Kreis prominenter Steyrer zu sehen. Werndls Leistungen als Leiter einer der größten Waffenschmieden Europas wurden aber zu seinen Lebzeiten schon voll anerkannt. 1862 erhielt er als Teilnehmer und KoOrden der „Eisernen Krone“ miteemitglied der Londoner Weltausstellung von Sr. Majestät, dem Kaiser, das Goldene Verdienstkreuz mit der Krone überreicht. 1870 bekam Werndl den Orden der Eisernen Krone III. Klasse für die Verdienste um den Hinterlader verliehen. 1872 wurde Werndl der Orden der italienischen Krone ausgehändigt. Grund dafür war die erstklassige Qualität der in der Waffenfabrik hergestellten Jagdgewehre, die der Kaiser dem italienischen König ge schenkt hatte. 1877 erhielt der Generaldirektor vom Kaiser die Erlaubnis, einen ihm angebotenen Orden der Königlich-preußischen Regierung anzunehmen und zu tragen. Es folgten: das „Commandeur-Kreuz des Ordens der rumänischen Krone“; die Ernennung zum „Comthur des Königlichsächsischen Albrechtsordens“; zum „Offizier der franz. Ehrenlegion“; zum „Offizier des griechischen Erlöserordens“; zum „Commandeur des portugiesischen Christus-Ordens“ und zum „Großoffizier des kaiserlich-persischen Sonnen- und Löwenordens“. Charakteristisch für die Persönlichkeit Werndls ist es, daß er als Inhaber des österreichischen Ordens der Eisernen Krone III. Klasse berechtigt gewesen wäre, um Erhebung in den Adelsstand anzusuchen. Werndl hat von diesem Recht nie Gebrauch gemacht.

1864 1989 Steyr Mannlicher Ges.m.b.H., Postfach 1000, A-4400 Steyr Mannlicher

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