Stadt Steyr und der Weltkurort Bad Hall

68 Steyr. Mit dem Einzug in das Haus an der Sonne, das traumhaft von Kletterrosen und Efeu umwachsen wie ein Märchenschlößchcn über die Enns ins Land blickt, einem mehr äußerlichen Ereignis, vollzog sich auch ein Wandel in der Seele des Meisters. Wie er sich in einem Werk bereits auswirkt, scheu wir am besten, wenn wir das Stahl- kreuz von Kalksbnrg betrachten, das um eben diese Zeit (Dezember 1911) das Meistcrntclicr verließ. Vorne an der Kreuzung der Balken, in einer halbhohlkugeligcn Vertiefung, gleichsam in einem kreisförniigen Medaillon schwebend, ist das Herz Christi, umkrampft von einem Dornen­ kranze, umstrahlt von einer Gloriole zu sehen. Ein wahres Wunder des Hoch-ä-joar-Schnittes. Die Gloriole scheint ohne Verbindung mit dem Kreuze zu sein, senkrecht zli ihr schwebt geradezu der Dornenkranz, das Herz umklammernd. Und doch, das Werk ist mehr wie ein Wunder des Hoch-L-jour-Schnittes. Was der Meister empfindet, das ringt nach Ausdruck, findet ihn im Werke, reißt den Beschauer mit, läßt die Saiten seiner Seele mitklingen, führt ihn zum „Erlebnis". Es ist das erste dieser Werke, nun ist er „Er", nun hat er sich selber gefunden und in der Folge beschenkt er uns mit einer ganzen Reihe von Werken, in denen er uns seine Seele sehen läßt, in denen er sich unverhüllt uns offenbart, wie ein Seher zu uns spricht, uns mahnt und zuruft. Seine Werke werden zum Bekenntnis einer Dichterseele, die sich wohl ab und zu des Stiftes und des Papieres bedient, aber doch nie so klar und eindrücklich zu uns spricht, wie wenn sic mit stählernem Werkzeuge in ebensolchem Werkstoffe ihr Empfinden zum Ausdrucke bringt. Da in eben dieser Zeit Bohrer, Meißel, Stichel und all die anderen Werkzeuge mit dem Fluge der Gedanken und der Empfindungen nicht Schritt zu halten vermochten, ist cs wohl zu erklären, daß der Meister, wie bereits angedeutet wurde, auch zur Feder griff, um seiner Seele zur Befreiung zu verhelfen. Adam Müller-Guttenbrunn und die um Steyr hochverdiente Schrift­ stellerin Handel-Mazzetti, sowie der Dichter im Priesterrock, O. Kernstock, gehörten zu den ersten Geistesgrößen, die auch diese Seite unseres Meisters gebührend einschätzten. Besonders die „Weltcu- wcnde"*) erregte ja die allgemeine Aufmerksamkeit. Auf die Zeit vor dem Weltkriege geht auch die Idee zurück, die dem Linzer Domschlüsscl zu Grunde liegt, wenn auch dessen Fertigstellung erst im Jahre 1924 erfolgte und vor derselben bereits die Unika-Plakcttc Evangelium und die Plastik Menschhcitszuknnft das Erstaune» und die Bewunderung der Beschauer auf den Ausstellungen erregten. Aber damit ist ja die Reihe der von so hohen Ideen erfüllten Werke unseres Meisters, mit denen er uns so viel zu geben vermag, noch lange nicht abgeschlossen, denn die in Arbeit befind­ lichen, zum Teil schon weit vorgeschrittenen, zum Teil bereits der Vollendung sich nähernden, zeigen einen Ideen- und einen Empfindungsreichtum, der uns schon mit Spannung den fertigen Kunst­ werken entgegensehen läßt. Im Rahmen dieses Aufsatzes mag nur in gedrängter Form auf die zahlreichen Probleme hingewiesen werden, die des Künstlers Seele erfüllen und in seinen Werken Erörterung finden. Die kleine, 1 cm dicke, 7 5 cm lange und 4'5 cm breite Stahlplnttc erscheint von der Mitte aus gesprengt durch eine Gruppe zartester Blumen. Wie ein in Waffen- nnd Panzerstahl umgesetztes Märchen mutet uns der kleine Gegenstand an. So fein, so zart die Boten des Frühlings sind, geradezu die Schönheit nnd alles Liebe ver­ körpernd, durchdringcn und sprengen sie die kalte und starre Decke, die Stahlplnttc, als Künder einer neuen Zeit, als ihre Bahnbrecher, den Sieg eines nett sich durchdringenden Geisteslebens *) Verlag Strache, Warnsdorf-Wien.

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