Stadt Steyr und der Weltkurort Bad Hall

Enrica Handel-Mazzetti. 61 Doch welch unerhörter Kampf brach über sie herein wegen „Jcsse und Maria" und dann wegen der „Armen Margaret", die im Jahre 1910 ausgegeben wurde. Die Flammenschrift der Liebe hatte sie ihren Werken mitgegeben, eine Flammenschrift des Hasses und Streites war zum Teile die Antwort. Doch sie vermochte nichts wider die Reinheit ihrer Werke, nichts wider die Reinheit ihres Herzens. Handel-Mazzetti hat diesen für sie wohl schwersten Kampf ihres Lebens, der sie und ihre Kinder zu vernichten drohte, siegreich überwunden. Noch ein anderes Ereignis soll in diesem Zusammenhange gestreift werden. Am 17. Dezember 1910 wurde in Wien und Prag Schönherrs „Glaube und Heimat" erstmals aufgeführt. Hat Schönherr sein Drama unter dem sprachlichen und darstellerischen Bann der Werke Haudcl-Mazzettis geschrieben? Diese Frage beschäftigte langc die große Öffentlichkeit. Heute darf mau wohl eine bejahende Antwort darauf geben. Selbst Josef Hofmiller, der Schönherr näher steht als unserer Dichterin, schreibt: „Ihr Buch: ,Die arme Margaret' ist wohl nicht ohne Einfluß auf das Drama Schönherrs geblieben." Er will das gedeutet wissen „als Feststellung einer über das Literarische hinausgehenden Verwandt­ schaft". Andere Schriftsteller rückten der Sache viel schärfer an den Leib: „Es ziemt sich, daß bei den großen und verdienten Erfolgen des Stückes .Glaube und Heimat' der Dichterin in Steyr gedacht werde, auf deren Werken dieses Werk steht. Man hört die Handel-Mazzetti an dem Dialekt, man sieht die dieser Frau eigene Kraft, die mit beispielloser Sicherheit den historischen Ton trifft, in Tonfall und Bewegung aufblitzen, sicht in dem .Reuter' des Dramas die Züge des Kurtembachischen Leutnants in der klirrenden Rüstung . .. ." Der Literaturstreit hat so arge Formen angenommen, daß M. Anklin zusammenfassend sagen konnte: „Selten — vielleicht noch nie seit dem Wertherfiebcr — hat die deutsche Literatur eine Gefühlskrise durchgemacht, die au Intensität den Kampf um Schönherrs ,Glaube und Heimat' und die beiden Romane der Handel-Mazzetti gleichkam." Und in diesein Kampfe, der ihr manche unverdiente Schmähungen eintrug, war Handel-Mazzetti nicht nur als Dichterin, sondern auch als Mensch Siegerin. „Bei ihr lobt nicht bloß das Werk das Leben — sondern ihr Leben lobt ihr Werk." Und noch einmal versenkte sie ihren Geist in diese so heiße Zeit des Streites und Kampfes um den Glauben, als sie in der alten Stadt Steyr ein neues Heim aufgeschlagen hatte. Und aus ihren Studien erwuchs jene Bekcuntnisschrift, die sic nach der heldenhaften Gestalt des Romanes „Stephana Schwertner" nannte und die ihr selbst noch heute als ihr bestes Buch dünkt. Dieses wahrhaft große Buch, das den Sieg der niedergetretenen katholischen Kirche über den machtvollen protestantischen Glauben in der Stadt Steyr feiert, war neuerdings das Signal einer heftigen literarischen Fehde. Die kleinlichen Nörgler wollen wir nicht beachten, sondern nur darauf hinweisen, daß selbst bewußte Protestanten unter der Führung des Ostpreußen Karl Buße in der Dichtung eine Sünde wider „den heiligen Geist der Menschheit" erblicken wollten. Worin würde sich der wahrhaftige Geist der Menschheit glänzender äußern als in dem Siege, den das Schwache und Arme, den heldenhafter Glaube und hingebungsvolle Liebe über äußere Macht und drückende Gewalt erringt? Mit Recht hat ein französischer Kritiker den Eindruck des Werkes in die Worte gefaßt: ,„Jesse und Maria' und ,Die arme Margaret' sind treffliche Romane, .Stephana Schwertner' aber ist das Leben." In dieser Dichtung offenbart Handel-Mazzetti eine Meisterschaft der Charakteristik und eine Meisterschaft der Sprache wie in keiner anderen. Und Adolf Schwätzer

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