Stadt Steyr und der Weltkurort Bad Hall

60 Steyr. Anlage wesentliche Merkmale ihrer Kunst auf: Die Gegensätze der Welt können nur durch die Liebe überwunden werden. In großartiger Weise führte die Dichterin dieses Thema durch in ihrem ersten Meisterwerke „Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr", das l900 in Buchform erschien. Ein farben- sattcs historisches Gemälde aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts: Das Stift Kremsmünster mit seiner uralten Mönchsknltur steht im Mittelpunkte der feinen Schilderungen. Ein Erziehungs­ roman im modernsten Sinne: Der lutherische Knabe Edwin wird bedrängt von dem fanatischen Abte, der die Bekehrung erzwingen will; er wird gehegt und gepflegt von der Liebe des einfältigen Mönches Meinrad, der keine Nebenabsichten, sondern nur das Wohl Edwins kennt; er wird hinein­ gestoßen in das furchtbare Blntgcricht, das protestantische klnduldsamkeit über seinen Vater ver­ hängt hat. Edwin kehrt nach Kremsmünster zurück, überwunden von der Liebe Meinrads, um mit ihm zu leben und zu sterben. Dar Erscheinen des „Meinrad Helmperger" vermittelte ihr die Freundschaft der Dichterin Marie Ebner-Eschenbach, die begleitet war von einem herzlichen Briefverkchr in den Jahren 1903—1910. Ebncr-Eschcnbach bezeichnete den Helmperger als „das Buch der Bücher"; sic habe lange nichts gelesen, was sic so gepackt hätte wie der „Meinrad". In ihrem Salon fand auch die Zusammenkunft Handel-Mazzettis mit dem berühmten Berliner Literarhistoriker R. M. Meyer statt, der durch die „Kölnische Volkszeitung", wo Marie Herbert den „Meinrad" besprochen hatte, auf sie und ihre poetische Begabung aufmerksam geworden war. Daß ein Germanist von dem Range Meyers für den Erstlingsroman Handel-Mazzettis eingetreten ist, war in der literarischen Welt ausschlaggebend. Denn die harten Worte Langes im „Literarischen Zcntralblatt" von dem minderwertigen, unmöglichen Machwerke schienen für die Dichterin Todcsworte zu fein. Handel-Mazzetti sagt selbst: „Wenn Lange durchgedrungen wäre, so wäre ich unter die Räder gekommen. Sicher wäre Jesse und Maria — wäre das Deutsche Recht und was ich noch an Werken im Herzen trage, ungeschrieben geblieben." Die Dichterin schien sich nunmehr dem modernen Gescllschaftsroman zuwenden zu wollen. Bereits im Jahre 1898 entwarf sie den Plan für den Wiener Roman „Brüderlein und Schwesterlein", den sie nach dem Tode ihrer Mutter (4. Juli 1901) zwar weiter ausbaute, aber erst 1913 in der Buchausgabe abschloß. Rita Kürschner, die im Kloster Marienfried zu St. Pölten ihre Ausbildung erhalten hatte, weigert sich, den teuflischen Lebemann Armin von Lorenzen za heiraten. In dem Augenblicke, als dieser das erzwungene Jawort erhalten hat, wird sic im Zimmer vom herabstürzenden Kreuze tödlich verwundet und stirbt. Der Roman bietet eine ausgezeichnete Schilderung des gesellschaftlichen Lebens in Wien zur Zeit der Jahrhundert­ wende. In diesem Roman wurzeln zwei andere Werke, deren Bedeutung lebhaft umstritten ist: „Ritas Briefe" (1915 ff.) und „Ritas Vermächtnis" (1922). Es war ein Glück für die Dichterin, daß diese Werke gleichsam Episoden blieben in ihrem großartigen Aufstieg, der gekennzeichnet wird von „Jesse und Maria" (1906), „Stephan« Schweriner" (1913) und der Karl Sand-Trilogie (1924). Der Roman aus dem Donauland, der die Gegend von Maria Taferl, Krummnußbaum, Pöchlarn und Krems, die Gegend der Nibelungenfahrt, in einem wundervollen Gemälde den Deutschen der Gegenwart so nahe gebracht hat, daß sie ihrer nie vergessen werden, der eine „Seelen­ biographie" der Zeit der Gegenreformation darstellt, wie sie kein Historiker je zuwege gebracht, begründete ihren Ruhm als bedeutendste epische Künstlerin unserer Zeit (Ed. Engel).

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