3 Drei Menschen - eine im Hauptwerk der Steyr-Daimler-Puch AG (= SDPAG) beschäftigte Frau aus Garsten bei Steyr, eine tschechische Zwangsarbeiterin und der Bordschütze eines abgeschossenen amerikanischen B-17 Bombers - drei Erlebnisse, ein Ereignis: Donnerstag, 24.02.1944, der Tag des Luftangriffs auf die Produktionsanlagen der SDPAG in Steyr mit den meisten Todesopfern. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt darin, möglichst genaue Aussagen zu Zahl, Herkunft, Alter und Wohnsituation/Sozialstatus der Todesopfer der Bombenangriffe auf die Anlagen der Rüstungsindustrie in Steyr, die am 23.02. und 24.02.1944, am 02.04.1944 und am 17.02.1945 erfolgten, treffen zu können. 4 Zunächst wird aber kurz dargelegt, warum das Gebiet um Steyr überhaupt ein Ziel für alliierte Luftangriffe darstellte. Die Vorkehrungen des Luftschutzes in Steyr und der Ablauf der Angriffe werden ebenfalls kurz behandelt. Die Schäden an Gebäuden und Industrieanlagen werden im Text nur knapp beschrieben. Fotos und Dokumente im Anhang erläutern diesen Themenbereich etwas näher. 1. Warum gab es im Zweiten Weltkrieg Ziele für Luftangriffe im Stadtgebiet von Steyr? Der Grund dafür, weshalb strategische Ziele im Stadtgebiet von Steyr überhaupt für alliierte Bomber bestanden, kann in einem Satz erklärt werden: Die Steyr-Daimler-Puch AG war einer der größten Waffenproduzenten für die deutsche Kriegsmaschinerie.5 Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 wurde die SDPAG mit Produktionsstandorten in Steyr und Graz in die Kriegsvorbereitungen des nationalsozialistischen Regimes einbezogen. Alleine in Steyr wurden zwischen 1938 und 1946 über 200 Millionen Reichsmark in Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattungen investiert und der Standort damit massiv erweitert.6 In Steyr stellte man in zwei großen Industrieanlagen, dem Hauptwerk, das von den Nazis enorm ausgebaut wurde, und dem Wälzlagerwerk, das zwischen 1939 und 1941 völlig neu errichtet 3 Bericht von Robert Thor Peterson. In: Peterson, Robert Th.; Hojka, Roman R.: „Bomberschütze und Augenzeuge“, Eigenverlag Roman Hojka, Amstetten 1999, S. 51 4 Der Ausgangspunkt für diese Arbeit lag im Jahr 2002 in der Recherche der Steyrer Kunstschaffenden Hannes Angerbauer und Erich Spindler für das Kunstprojekt „Vom Wasser bedeckt“. Unbrauchbar gewordene Kriegsrelikte aus dem Zweiten Weltkrieg, die in den letzten Kriegstagen in den Flüssen Enns und Steyr versenkt worden waren, aber während der vergangenen Jahre wieder aufgetaucht sind, sollten zu Kunstobjekten umgestaltet werden. Bei Nachforschungen über die historische Situation in der Stadt Steyr im Zweiten Weltkrieg stießen die beiden Künstler auf den Plan der Bombeneinschläge der Luftangriffe auf Steyr im Jahr 1944 (Abb. 1). Dieser Plan wurde zum grafischen Projektsymbol gewählt. Aus diesem Grund sollten auch die Hintergründe der Bombenangriffe auf das Stadtgebiet von Steyr näher beleuchtet werden. Der hier vorliegende Text wurde gegenüber der Version aus dem Jahr 2002 in wenigen Punkten überarbeitet. 5 Zum industriellen und wirtschaftlichen Aufstieg der SDPAG im Dritten Reich und insbesonders auch zur wirtschaftlichen Auswirkung der Luftangriffe auf die SDPAG: vgl. die zwei Bände von Rauscher, Karl-Heinz: „Steyr im Nationalsozialismus. Politische, militärische und soziale Strukturen.“ Weishaupt, Gnas 2003 und „Steyr im Nationalsozialismus. Industrielle Strukturen.“ Weishaupt, Gnas 2004; vgl. ebenfalls Perz, Bertrand: „Projekt Quarz. Steyr-Daimler-Puch und das Konzentrationslager Melk.“ Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1991 6 vgl. Rauscher „Steyr im Nationalsozialismus. Industrielle Strukturen.“ a.a.O., S. 188
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