Angaben zu den Todesopfern der Luftangriffe auf die Industrieanlagen der Steyr-Daimler-Puch AG in Steyr in den Jahren 1944 und 1945
1 1. Warum gab es im Zweiten Weltkrieg Ziele für Luftangriffe im Stadtgebiet von Steyr?.............3 2. Der Luftkrieg über Österreich...................................................................................................5 3. Luftschutzbauten in Steyr.........................................................................................................5 4. Der erste Luftangriff auf die SDPAG am 23.02.1944................................................................6 5. Der Tagesangriff am 24.02.1944..............................................................................................9 6. Die Opfer der Luftangriffe vom 23.02. und 24.02.1944 im Stadtgebiet von Steyr...................11 7.1. Ermittlung der Anzahl der Todesopfer.................................................................................11 7.2. Weitere Angaben zu den Todesopfern.................................................................................13 7.2.1. Geburtsort/Hinweise auf Nationalität und Herkunft..........................................................13 7.2.2. Alter.................................................................................................................................13 7.2.3. Wohnsitz/Unterkunft........................................................................................................14 7.2.4. Fundorte von Leichnamen im Stadtgebiet/Zentren der Bombentreffer...............................14 8. Der Nachtangriff am 24./25.02.1944.......................................................................................15 9. Die Auswirkung der Februarangriffe auf die Produktion der SDPAG.....................................15 10. Der Luftangriff am Palmsonntag, 02.04.1944 – „Das Wunder von Steyr“.............................16 11. Die Opfer des Luftangriffs vom 02.04.1944 im Stadtgebiet von Steyr ..................................19 11.1. Weitere Angaben zu den Todesopfern...............................................................................20 11.1.1. Geburtsort/Hinweise auf Nationalität und Herkunft ........................................................20 11.1.2. Alter...............................................................................................................................20 11.1.3. Wohnsitz/Unterkunft......................................................................................................21 11.1.4. Fundorte von Leichnamen im Stadtgebiet/Zentren der Bombentreffer.............................21 12. Die Auswirkung des Angriffs vom April auf die Produktion der SDPAG.............................21 13. Der letzte Luftangriff auf Steyrer Stadtgebiet am 17.02.1945................................................22 14. Schlussbemerkungen............................................................................................................23 15. Literaturverzeichnis..............................................................................................................25 16. Verzeichnis der Abbildungen ...............................................................................................27 17. Abbildungen.........................................................................................................................28
2 „Alles raus!“ ruft er. „Das Gebäude brennt!“ Unsere unwillkürliche Bewegung nach der Tür unterbricht er mit einem Wink nach den Fenstern. Vom Dach bis zum Keller ist das Stiegenhaus erfüllt von Flammen. Die Kellerluke liegt hoch. Als man sie öffnet, dringt beißender Rauch herein. Ich beginne heftig zu husten und glaube zu ersticken. Einige Männer stürzen sich zum Fenster und wollen hinaus, aber irgendjemand hindert sie daran, vor den Frauen den Keller zu verlassen. Da packt man mich schon, hebt mich hoch und schubst mich ins Freie, wo alles brandrot gefärbt ist.“1 --- „Die Fabrik war mit einem Stacheldrahtzaun umgeben, und als die Sirenen zu hören waren, wartete niemand mehr, und alle wollten aus der Fabrik heraus. Aber sie wollten uns nicht herauslassen, damit die Arbeiter nicht wegliefen, und die Produktion nicht gestört würde. Und so wollten sie uns nicht herauslassen, aber die Panik erreichte einen Höhepunkt, sodass der Zaun durch den Druck der Menge niedergerissen wurde. ... Wir sind gelaufen mit den anderen Mädchen, die meine Schulfreundinnen waren, wir haben uns noch einen Spaß daraus gemacht, weil tiefer Schnee gelegen ist. ... Nur dann begannen die Bomben wirklich zu fallen, und rund um uns fielen die Bomben. Und immer, wenn sie aufschlugen, spritzte die Erde weg. Der Schnee war ganz fleckig, und da wussten wir, dass es kein Spaß mehr war, und rannten kopflos in ein Waldstück. Die ganze Fabrik war in einem Wald. Da überkam uns Panik, und ich wusste nicht mehr, ob wir auf die Einschläge zuliefen oder von ihnen weg. Aber wir liefen immer in eine Richtung. Und da sahen wir schon, dass es hinter uns brannte.“2 --- „Alle drei Kameraden kamen in nächster Nähe zueinander am Boden an und zwischen ihnen lag die schon vor ihnen gelandete Lukentür des Flugzeuges. ... Sie begannen durch den knietiefen Schnee zu laufen, aber als sie sich zwischen beiden Baumgruppen befanden, sahen sie eine Horde von 6-10 Männern mit Heugabeln, Schaufeln und Knüppeln aus dem Wald auf sie zukommen. ... Gleichzeitig sahen sie drei Uniformierte (vermutlich Landgendarmen) den Hügel in ihre Richtung heraufkommen. ... Sie steuerten den Hügel hinunter in Richtung zu ihrer Auslieferung, um der aufgebrachten Horde Zivilisten zu entkommen, die sie entweder mit Knüppeln erschlagen oder mit Mistgabeln aufgespießt hätte.“3 1 Bericht von N. Hemetsberger. In: Steyrer Zeitung Nr. 9/27.02.64, S. 4 2 Interview mit Stanislava Zvěřinová. In: „Das KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz. Zwangsarbeit für die Steyr–Werke“ Ein Filmprojekt von Mauthausen Aktiv Steyr, © Leonhard Weidinger 2001
3 Drei Menschen - eine im Hauptwerk der Steyr-Daimler-Puch AG (= SDPAG) beschäftigte Frau aus Garsten bei Steyr, eine tschechische Zwangsarbeiterin und der Bordschütze eines abgeschossenen amerikanischen B-17 Bombers - drei Erlebnisse, ein Ereignis: Donnerstag, 24.02.1944, der Tag des Luftangriffs auf die Produktionsanlagen der SDPAG in Steyr mit den meisten Todesopfern. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt darin, möglichst genaue Aussagen zu Zahl, Herkunft, Alter und Wohnsituation/Sozialstatus der Todesopfer der Bombenangriffe auf die Anlagen der Rüstungsindustrie in Steyr, die am 23.02. und 24.02.1944, am 02.04.1944 und am 17.02.1945 erfolgten, treffen zu können. 4 Zunächst wird aber kurz dargelegt, warum das Gebiet um Steyr überhaupt ein Ziel für alliierte Luftangriffe darstellte. Die Vorkehrungen des Luftschutzes in Steyr und der Ablauf der Angriffe werden ebenfalls kurz behandelt. Die Schäden an Gebäuden und Industrieanlagen werden im Text nur knapp beschrieben. Fotos und Dokumente im Anhang erläutern diesen Themenbereich etwas näher. 1. Warum gab es im Zweiten Weltkrieg Ziele für Luftangriffe im Stadtgebiet von Steyr? Der Grund dafür, weshalb strategische Ziele im Stadtgebiet von Steyr überhaupt für alliierte Bomber bestanden, kann in einem Satz erklärt werden: Die Steyr-Daimler-Puch AG war einer der größten Waffenproduzenten für die deutsche Kriegsmaschinerie.5 Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 wurde die SDPAG mit Produktionsstandorten in Steyr und Graz in die Kriegsvorbereitungen des nationalsozialistischen Regimes einbezogen. Alleine in Steyr wurden zwischen 1938 und 1946 über 200 Millionen Reichsmark in Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattungen investiert und der Standort damit massiv erweitert.6 In Steyr stellte man in zwei großen Industrieanlagen, dem Hauptwerk, das von den Nazis enorm ausgebaut wurde, und dem Wälzlagerwerk, das zwischen 1939 und 1941 völlig neu errichtet 3 Bericht von Robert Thor Peterson. In: Peterson, Robert Th.; Hojka, Roman R.: „Bomberschütze und Augenzeuge“, Eigenverlag Roman Hojka, Amstetten 1999, S. 51 4 Der Ausgangspunkt für diese Arbeit lag im Jahr 2002 in der Recherche der Steyrer Kunstschaffenden Hannes Angerbauer und Erich Spindler für das Kunstprojekt „Vom Wasser bedeckt“. Unbrauchbar gewordene Kriegsrelikte aus dem Zweiten Weltkrieg, die in den letzten Kriegstagen in den Flüssen Enns und Steyr versenkt worden waren, aber während der vergangenen Jahre wieder aufgetaucht sind, sollten zu Kunstobjekten umgestaltet werden. Bei Nachforschungen über die historische Situation in der Stadt Steyr im Zweiten Weltkrieg stießen die beiden Künstler auf den Plan der Bombeneinschläge der Luftangriffe auf Steyr im Jahr 1944 (Abb. 1). Dieser Plan wurde zum grafischen Projektsymbol gewählt. Aus diesem Grund sollten auch die Hintergründe der Bombenangriffe auf das Stadtgebiet von Steyr näher beleuchtet werden. Der hier vorliegende Text wurde gegenüber der Version aus dem Jahr 2002 in wenigen Punkten überarbeitet. 5 Zum industriellen und wirtschaftlichen Aufstieg der SDPAG im Dritten Reich und insbesonders auch zur wirtschaftlichen Auswirkung der Luftangriffe auf die SDPAG: vgl. die zwei Bände von Rauscher, Karl-Heinz: „Steyr im Nationalsozialismus. Politische, militärische und soziale Strukturen.“ Weishaupt, Gnas 2003 und „Steyr im Nationalsozialismus. Industrielle Strukturen.“ Weishaupt, Gnas 2004; vgl. ebenfalls Perz, Bertrand: „Projekt Quarz. Steyr-Daimler-Puch und das Konzentrationslager Melk.“ Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1991 6 vgl. Rauscher „Steyr im Nationalsozialismus. Industrielle Strukturen.“ a.a.O., S. 188
4 wurde, Pistolen, Karabiner, Maschinengewehre, Lastkraftwagen, Flugzeugmotore, Flugzeugkabinen und nicht zuletzt Kugel- und Wälzlager her. Letztere Produkte waren z.B. unerlässlich für den Bau von Panzern und Flugzeugen, den wichtigsten Angriffswaffen in der expansionistischen deutschen Kriegführung. Bis zum Jahr 1942 entwickelte sich die SDPAG zum drittgrößten Wälzlagerproduzenten im Deutschen Reich und war somit eine der größten Waffenschmieden Nazideutschlands. Sie wurde kontinuierlich zu einem der wichtigsten Produzenten von Rüstungsgütern für die Luftwaffe und die Wehrmacht ausgebaut. Durch die hervorragenden Beziehungen des Vorstandes zur SS erhielt man auch von dort gut dotierte Aufträge. Diese Produktivitätssteigerung konnte aber nur unter massivstem Einsatz von Kriegsgefangenen, ausländischen ZwangsarbeiterInnen und KZ-Insassen vollzogen werden. Tausende Menschen aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Polen, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und weiteren von Nazideutschland besetzten europäischen Ländern waren in über 20 größeren und kleineren Lagern unterschiedlichster Art in Steyr untergebracht. Am 14.01.1944 wurden aus Steyr 8550 ausländische Arbeiter an das Landwirtschaftsamt in Linz gemeldet.7 Die meisten von ihnen mussten für die SDPAG Zwangsarbeit verrichten. „Viele der im Dritten Reich arbeitenden Ausländer waren freiwillig gekommen, zum Teil auch wieder gegangen, zum Teil aber auch nach Ablauf des Arbeitsvertrags dienstverpflichtet und gegen ihren Willen weiter beschäftigt worden.“ Auch deutsche Arbeitskräfte konnten dienstverpflichtet werden. „Was deren Situation an Wohnort und Arbeitsplatz grundlegend von der der Ausländer unterschied, war die privilegierte rechtliche Stellung und die Zugehörigkeit zu einem lokalen sozialen Netz, das in Notsituationen griff. ... Insofern macht es sicherlich Sinn, Zwangsarbeit nicht nur durch die einstweilige Unauflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses zu bestimmen, sondern auch durch eine systematische Verringerung der Lebensqualität bis hin zur Überlebenswahrscheinlichkeit.“8 Die geringste Überlebenswahrscheinlichkeit unter den ZwangsarbeiterInnen auf dem Gebiet des Dritten Reiches hatten die Menschen in den Konzentrationslagern. Die SDPAG war auch einer der ersten Konzerne im Deutschen Reich, der KZ-Insassen in großem Umfang ausbeutete. Im Jänner 1942 wurde im Steyrer Stadtteil Münichholz ein Außenlager des KZ Mauthausen errichtet. Bis zu 2000 Menschen waren gleichzeitig in diesem Lager untergebracht, die Gesamtzahl der im KZ Steyr-Münichholz bis zum Mai 1945 gefangen gehaltenen Personen konnte bisher nicht ermittelt werden. Zur Anzahl der im KZ Steyr befindlichen Personen liegen aber punktuelle Detailzahlen vor: so wurden z.B. am 31.05.1943 in Steyr 1.144 KZ-Insassen sowie 850 7 vgl. „Schreiben aus dem Bürgermeisterbüro Steyr an das Landwirtschaftsamt Oberdonau, 14.01.1944“; OÖ Landesarchiv, Verzeichnis C 54, Karton 11, g/44-16
5 Kriegsgefangene, die in anderen Lagern untergebracht waren, gezählt9. Die ausländischen Arbeitskräfte wurden übrigens nach der NS-Ideologie streng kategorisiert: „Französische ... Zivilarbeiter erhielten ... etwa denselben Lohn wie deutsche Zivilarbeiter. Sie und auch die französischen Kriegsgefangenen wurden wesentlich besser behandelt als Polen und vor allem Zivilarbeiter aus den besetzten Teilen der Sowjetunion, die überwiegend als „Ostarbeiter” bezeichnet wurden. Noch unter ihnen rangierten die italienischen Militärinternierten und die sowjetischen Kriegsgefangenen, deren Todesraten deutlich über dem Durchschnitt ihrer Altersgruppe bzw. Kriegsgefangenenkontingenten aus westlichen Ländern lagen. An unterster Stelle rangierten die KZ-Häftlinge, insbesondere die jüdischen.“10 2. Der Luftkrieg über Österreich Bis zum Sommer 1943 galt das Gebiet der Ostmark als „Luftschutzkeller des Reiches“. 11 Am 13.08.1943 wurde dann der erste Luftangriff auf eine Rüstungsanlage im jetzigen österreichischen Staatsgebiet durchgeführt. Flugzeuge der 9. US-Luftflotte griffen, von ihren Basen in Nordafrika kommend, die Wiener Neustädter Flugzeugwerke an. Ab Herbst 1943 stand mit dem süditalienischen Foggia eine wesentlich näher gelegene Luftbasis für die neu zusammengestellte 15. US-Luftflotte und das 205. Geschwader der Royal Air Force zur Verfügung. Die Angriffe auf strategisch wichtige Ziele in der Ostmark nahmen ab diesem Zeitpunkt zu. 3. Luftschutzbauten in Steyr Hier sollen nur einige Schlaglichter auf die Bauarbeiten zu den Luftschutzgräben und –stollen geworfen werden. Mit Ende Mai 1943 liefen in Steyr die Maßnahmen zur Errichtung von Luftschutz- Deckungsgräben durch die Stadtgemeinde und die SDPAG an. Für die Bauarbeiten zog man Kriegsgefangene und KZ-Insassen heran.12 Im Lauf des Jahres 1943 wurden dann die Planungsarbeiten an den Luftschutz-Stollenanlagen Märzenkeller (Platz für 3500 Menschen), Schloss Lamberg (1700), Tabor (2000) und Ennsleite (6000) begonnen. (Abb. 2 und 3) Bis zum 01.03.1944 war nur der Bau der Stollen Märzenkeller (90%) und Tabor (66%) weit 8 Spoerer, Mark „Schätzung der Zahl, der im Jahr 2000 überlebenden Personen, die auf dem Gebiet der Republik Österreich zwischen 1939 und 1945 als Zwangsarbeiter eingesetzt waren. Gutachten der Historikerkommission der Republik Österreich“, Stuttgart 2000, S. 5 9 „Schreiben des Oberbürgermeisters von Steyr an den Gaubeauftragten für die Regelung der Bauwirtschaft, 03.06.1943“; Stadtarchiv Steyr, H/g 1680-1943 II 10 Spoerer, Mark „Schätzung der Zahl …“ a.a.O., S. 8 11 Standardwerk für die Luftkriegsereignisse im Zweiten Weltkrieg in Österreich: Ulrich, Johann: „Der Luftkrieg über Österreich 1939-1945“ ÖBV, 3. Aufl., Wien 1982 (Militärhistorische Schriftenreihe Heft 5/6) 12 vgl. „Aktenvermerk über die Besprechung über die Errichtung von LS-Deckungsgräben am 25.05.43“; Stadtarchiv Steyr, H/g 1680-1943 I
6 fortgeschritten.13 Kurz nach den Angriffen vom Februar 1944 erging durch Oberbürgermeister Ransmayr eine Rundschreiben, dass genaue Kontrollen an den Eingängen zu den Stollen durchzuführen sind, damit keine Ausländer diese bei einem Luftangriff benützen. Weiters dürfen „Kriegsgefangene unter keinen Umständen in die Stollen gebracht werden“, da sonst der „deutschen Bevölkerung die Möglichkeit genommen wird, rechtzeitig sicher unterzukommen.“14 Am 30.05.1944 wurde berichtet, dass sich bei einem Luftalarm zu viele Menschen in die unfertigen Stollen flüchteten. Besonders dramatisch entwickelte sich die Situation im Märzenkeller, den 10.000 bis 11.000 Personen aufsuchten.15 Nach der Ausbombung am 02.04.1944 war Frieda Meindl mit ihrer Familie in einer Notwohnung in Münichholz, wo ebenfalls ein Stollen geschlagen wurde, untergebracht. „Damals ist ein Luftschutzstollen gebaut worden, den haben die KZler machen müssen, und ich erinnere mich noch sehr gut. Wir haben damals gesehen - das war eigentlich das schrecklichste Erlebnis - wie die KZler diese riesengroßen Steine - am Rücken geschleppt haben - und die Wärter hinter ihnen nach, ich kann mich noch gut erinnern. Und die sind natürlich zusammengebrochen, dann haben sie auf die mit dem Gewehrkolben eingeschlagen, also das weiß ich noch, das haben wir einmal so gesehen. Und von dort an haben wir das Küchenfenster nur mehr verhängt, weil wir haben das nicht mehr anschauen können, das war so schrecklich.“16 Im November 1944 mussten auf den verschiedenen Baustellen im Stadtgebiet 90 Kriegsgefangene und 105 KZ-Insassen an der Fertigstellung der Luftschutzbauten arbeiten.17 Bei Kriegsende bestanden im Stadtgebiet von Steyr, neben den oben genannten Anlagen, noch Stollen an der Lauberleite, beim Landeskrankenhaus und beim Teufelsbach. 4. Der erste Luftangriff auf die SDPAG am 23.02.1944 Der erste Luftangriff auf die Industrieanlagen in Steyr erfolgte am Mittwoch den 23.02.1944 durch Bombergeschwader der 15. US-Luftflotte. Der Angriff war gleichzeitig der erste auf ein Ziel im damaligen Gau Oberdonau. Er fällt in die von den Alliierten „Big Week“ genannte Woche vom 20. bis 25.02.1944. In mehreren koordinierten Luftangriffen englischer und amerikanischer Verbände sollte die Deutsche Luftwaffe entscheidend geschwächt werden. Angriffsschwerpunkte waren sämtliche Produktionsanlagen für Flugzeugteile, insbesonders die Kugel- und Wälzlagerindustrie im ganzen Reichsgebiet.18 Somit standen die Industrieanlagen der SDPAG in Steyr ganz oben auf der Liste der Ziele. 13 vgl. „LS-Führerprogramm Zusammenstellung vom 05.04.1944“; Stadtarchiv Steyr, H/g 1680-1943 I 14 Schreiben an den Kommandeur des Schutzpolizeiabschnittes Steyr vom 21.03.1944; Stadtarchiv Steyr, H/g 1680-1943 I 15 vgl. „Schreiben des Oberbürgermeisters von Steyr an den Gauleiter“; Stadtarchiv Steyr, H/g 1680-1943 I 16 Interview mit Frieda Meindl. In: „Das KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz. Zwangsarbeit für die Steyr–Werke“ a.a.O. 17 vgl. „LS-Bauten Steyr“; Stadtarchiv Steyr, H/g 1680-1943 I 18 vgl. Ulrich, Johann a.a.O., S. 11
7 Die Angaben über die Anzahl der angreifenden Flugzeuge am 23.02. weichen stark voneinander ab. Auf deutscher Seite wurden in der Luftschutz-Schadensmeldung19 für diesen Tag nur 30 Maschinen angegeben, in einem Bericht der Wehrmacht die Zahl von 90 Flugzeugen.20 In amerikanischen Quellen ist von 102 Bombern die Rede.21 Die Flugzeuge kamen aus Südwesten, der Angriff erfolgte in der Zeit von 12.10 Uhr bis 12.30 Uhr. Sein Schwerpunkt lag auf den Produktionsanlagen der SDPAG. Zeitzeuge Max Grundner, im Februar und April 1944 als Einsteller im Hauptwerk beschäftigt, erinnert sich an den ersten Luftangriff auf Steyr: „Im Februar ist plötzlich Alarm gegeben worden, aber keiner hat sich deswegen gerührt, es ist alles gemütlich gegangen. Ein Älterer in unserer Gruppe, auch ein Vorarbeiter, hat dann zu mir gesagt: „Max renn´, heute geht´s uns an!“ Wieso er auf diese Idee gekommen ist, weiß ich nicht, aber ich bin deswegen auch nicht schneller hinausgegangen. Hinter dem H-Bau war ein Splittergraben, und da sind wir dann hinein. Aber nicht in angemessener Eile, sondern gemütlich.“22 Als am 23.02. Alarm gegeben wurde, geschah dies zum ersten Mal im Jahr 1944. Bis zu diesem Tag wurden in Steyr 51 Alarmierungen wegen Luftgefahr, Luftwarnung und Fliegeralarm ausgelöst.23 Man war an diese Unterbrechungen des Alltagslebens gewöhnt und dachte sich beim Klang der Sirenen nicht mehr viel, obwohl man ja bereits seit dem Angriff auf die Wiener Neustädter Flugzeugwerke am 13.08.1943 wusste, dass damit auch das Gebiet um Steyr in die Reichweite der alliierten Bomberstreitkräfte gekommen war. Polnische Arbeiterinnen, die sich bereits in dem von Max Grundner aufgesuchten Deckungsgraben befanden, weinten und beteten, da sie schon anderenorts Fliegerangriffe miterlebt hatten. Sie wussten, was nun bevorstehen konnte: „Dann hat es plötzlich zu Rumsen begonnen, aber es war nicht viel los. Nach kurzer Zeit sind wir wieder aus dem Splittergraben herausgekommen, weil schon Entwarnung gegeben wurde. Wir haben da und dort Schäden gesehen, aber die Zerstörungen waren nicht sehr groß.“24 In der Einschätzung durch die Stadtverwaltung bewertete man diesen Luftangriff als leicht. Für die 561 Obdachlosen wurden die „vorgesehenen 6 Obdachlosenstellen vorschriftsmäßig besetzt und eröffnet. Da aber die Schäden gering waren, suchten sich die wenigen Obdachlosen bei ihren Bekannten selbständig Unterkunft. Es wurden deshalb sämtliche Obdachlosenstellen noch in den Abendstunden aufgelöst. Desgleichen wurde mit dem sich 2 Stunden nach der Entwarnung 19 vgl. Zahlenangaben, wenn nicht anders angegeben, aus: „Luftschutz-Schadensmeldung über den erfolgten Luftangriff auf Steyr am 23.02.1944, Schlussmeldung vom 25.02.1944“; OÖ Landesarchiv, C 54, Karton 11, g/44-51 20 vgl. „Kriegstagebuch des Wehrwirtschaftsoffiziers des Wehrkreiskommandos XVII, Eintrag vom 23.02.1944“; Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, T 77/748/1982120 21 vgl. „The Army Air Forces in World War II“ Wesley F. Craven; James L. Cate (Hg.), Band III, University of Chicago Press, Chicago 1951, S. 38 22 Interview mit Max Grundner vom 08.07.2002 23 vgl. Tabelle: „Die Alarmierung der Freiw. Stadtfeuerwehr Steyr im 2. Weltkrieg“; Archiv der FF der Stadt Steyr 24 Interview mit Max Grundner vom 08.07.2002
8 sammelnden Hilfsstellenpersonal verfahren.“25 Nach diesem Angriff wurden im Steyrer Stadtgebiet die Aufschläge von 288 Sprengbomben mittlerer Größe gezählt. Von diesen gingen 215 auf unbebautes Gelände nieder. Die restlichen 73 Bomben zerstörten 21 Wohnhäuser und zwei Wehrmachtsgebäude zur Gänze. Weiters wurden 29 Bauwerke schwer, 19 mittelschwer und 142 leicht beschädigt. 22 Sprengkörper erwiesen sich als Blindgänger. Da die Industrieanlagen in Steyr sehr nahe an den Wohngebieten lagen, fielen einige Sprengkörper auch auf Wohnhäuser. Die Schäden im Stadtgebiet hielten sich am 23.02. aber in Grenzen. Straßenzüge im Stadtteil Ennsdorf erhielten bei diesem Angriff die meisten Bombentreffer, aber auch im Mehlgraben und am Stadtplatz (Abb. 7) wurden Häuser zum Teil schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Zerstörungen an den Fabrikationsanlagen der Steyr-Werke waren gering. Im Hauptwerk (zwei Gebäude schwer und drei mittelschwer beschädigt) wurde der Autobau getroffen, im Wälzlagerwerk (zwei Gebäude schwer und zwei mittelschwer beschädigt) wiesen die Schleiferei, die Halle II und das Verwaltungsgebäude Treffer auf. (Abb. 22) Da das Umspannwerk ebenfalls leichte Schäden erlitten hatte, kam es im Stadtgebiet für einige Tage zu Schwierigkeiten mit der Stromversorgung. Eine Bombe traf Gleisanlagen Richtung St. Valentin, dieser Schaden war schnell behoben. Die Feuerwehr der Stadt Steyr musste acht Brände mittlerer Größe löschen.26 In mehreren Orten der Gaue Ober- und Niederdonau kam es durch abstürzende Maschinen und durch ungezielte Notabwürfen aus beschädigten Flugzeugen zu Zerstörungen und Todesopfern. In Bad Hall wurden sechs Männer getötet und drei Personen leicht verletzt. In Ramingdorf starben zwei Männer, fünf Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Flugzeugbesatzungen der 15. US-Luftflotte hatten bei ihrem Einsatz einen hohen Blutzoll zu entrichten. Die Luftschutz-Schadensmeldung führt als „Erfolge der aktiven Abwehr“ den Abschuss von 16 Bombern an. 59 Besatzungsmitglieder der amerikanischen Maschinen gerieten in Gefangenschaft, 42 wurden getötet. Die Angaben über die Zahl der abgeschossenen Flugzeuge decken sich weitgehend mit Nachkriegsrecherchen.27 Ob die Verluste unter den Flugzeugbesatzungen höher als angegeben waren, konnte aber nicht ermittelt werden Auf Seiten der Deutschen Luftwaffe sollen bei diesen Kämpfen sieben Jagdpiloten ihr Leben verloren haben.28 25 „Vorläufiger Bericht über den Einsatz der Stadtverwaltung Steyr bei den Luftangriffen am 23. und 24.02.1944 vom 07.03.1944“ S. 1f; Stadtarchiv Steyr, C/a 1211-1944, 2311-1945 26 vgl. Tabelle: „Die Alarmierung der Freiw. Stadtfeuerwehr Steyr im 2. Weltkrieg“; Archiv der FF der Stadt Steyr 27 vgl. Handelsberger, Anton: „Der Einsatzflughafen Fels/Wagram im Tullnerfeld und die Abwehreinsätze der I. u. II./JG 27 in den Luftschlachten über Österreich vom August 1943 bis August 1944“ Eigenverlag, Dürnrohr 1996, S. 48. Dort werden 17 Maschinen aufgelistet.
9 5. Der Tagesangriff am 24.02.1944 Wie es in der strategischen Planung der „Big Week“ vorgesehen war, flogen die Maschinen der 15. US-Luftflotte einen Tag nach dem ersten Luftangriff einen zweiten Angriff auf die Werkshallen der SDPAG. In der Luftschutz-Schadensmeldung für den 24.02.1944 wird angegeben, dass in der Zeit von 13.05 Uhr bis 13.15 Uhr etwa 100 Flugzeuge in drei Wellen, zuerst aus Süden, dann von Westen kommend, die Anlagen der Steyr-Werke attackierten.29 Von amerikanischer Seite werden 114 gestartete Bomber angegeben, 87 gelangten bis nach Steyr. 146 Jagdflugzeuge begleiteten diesen Verband.30 Eine Erfahrung, die die Einwohner von Steyr beim ersten Angriff gemacht hatten war, dass die Deckungsgräben gegen den Treffer einer Sprengbombe keinen Schutz bieten konnten. Bei den Angriffen auf Steyr wurden aber hauptsächlich Bomben dieser Art eingesetzt. Max Grundner berichtet: „Am nächsten Tag wurde die ganze Sache schon ernster genommen, nicht mehr bagatellisiert. Mir hat es im Splittergraben nicht mehr gefallen und so bin ich zum Tor hinaus. Ich habe dort einen Mann getroffen und gemeinsam sind wir in den Wald geflüchtet. Nach dem Angriff haben wir dann gesehen, dass viele Hallen im Werksgelände stark beschädigt waren: die Flumo, der H-Bau, der C-Bau ... Und dann begann natürlich die Suche nach den Angehörigen.“31 Dieses Mal trifft es die Menschen in Steyr schwerer als am Vortag. Es sollte der opferreichste Luftangriff im 2. Weltkrieg auf die Stadt bleiben. Im Objekt XIII der SDPAG in der Schaftgasse wurden beim Ausbruch des Angriffes die dort internierten und arbeitenden italienischen Kriegsgefangenen eingeschlossen, die Wachmannschaft verzog sich in den nahen Luftschutzbunker. Diese Italiener, die ja bis zum Juli 1943 Verbündete Nazideutschlands waren und dann nach dem Sturz des faschistischen Diktators Mussolini zu Gefangenen gemacht wurden, konnten nach zwei Bombentreffern nicht mehr aus der brennenden Fabrikhalle entkommen. (Abb. 5 und 6) Die Tore wurden nicht geöffnet, niemand kam ihnen zu Hilfe. „An den ausgeglühten Fenstergittern findet man sie, noch im Tod wie um Hilfe flehend die Hände ausgestreckt.“32 Für 60 Italiener wurde noch im August 1944 ein Denkmal am Steyrer Friedhof errichtet.33 Dort befindet sich auch eine Gedenktafel für 21 französische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, von denen 11 beim Bombenangriff am 24.02. direkt getötet wurden. Drei Personen waren bereits durch die Bombardierung am Vortag ums Leben gekommen, die anderen erlagen ihren Verletzungen in den folgenden Tagen und Wochen. 28 vgl. ebenda, S. 49 29 Zahlenangaben, wenn nicht anders angegeben, aus: „Luftschutz-Schadensmeldung über den erfolgten Luftangriff auf Steyr am 24.02.1944, Schlussmeldung vom 02.03.1944“; OÖ Landesarchiv, Verzeichnis C 54, Karton 11, g/44-51 30 vgl. „The Army Air Forces in World War II“ a.a.O., S. 39 31 Interview mit Max Grundner vom 08.07.2002 32 Steyrer Zeitung Nr. 8/20.02.64, S. 4 33 vgl. „Am Grabe der italienischen Bombenopfer nach 50 Jahren“ In: Amtsblatt der Stadt Steyr Nr. 6/1994, S. 22
10 Die Zählung der Einschläge ergab 482 Bomben, wovon 219 Wohngebäude und 240 die Hallen des Haupt- und des Wälzlagerwerkes trafen. 61 Häuser wurden total zerstört, 60 schwer, 50 mittelschwer und 241 leicht beschädigt. Die Zerstörungen begannen im Wehrgraben, wo neben dem Objekt XIII auch die Objekte IX und XIV der SDPAG sowie einige Fabrik- und Wohnhäuser getroffen wurden. Sie reichten dann über das Schloss Vogelsang, in dem das Wehrbezirkskommando untergebracht war, zum Stadtplatz hinein, dann in die Goldschmiedgasse und in die Enge, zum Ennskai (Abb. 8) und Schloss Lamberg. In die Michaelerkirche schlug eine Bombe ein, explodierte aber nicht. Sie befindet sich, mittlerweile entschärft, bis zum heutigen Tag in der Kirche. Die Spur der Verwüstung zog sich hierauf weiter in die Schlüsselhofgasse und an den Ortskai. Sie führte dann hinüber in den Stadtteil Ennsdorf, der besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dort waren Gebäude und Straßenzüge um die Kollergasse, Pachergasse, Bahnhofstraße, Haratzmüllerstraße, Johannesgasse (Abb. 9) und die Jägergasse betroffen. Unterhalb des Hauptwerkes zerstörten Bomben in der Altgasse mehrere Häuser. (Abb. 10) Auf der Ennsleite entstanden schwere Schäden, so etwa in der Damberggasse. Viele Bomben fielen auch in die Gebiete Fischhub und Klein aber Mein. Das größte Gebäude der Deutschen Wehrmacht auf Steyrer Stadtgebiet, die Artilleriekaserne am Tabor, wurde mittelschwer beschädigt.34 Aus der Sicht der verantwortlichen NS-Politiker stellte sich die Lage als nicht sehr dramatisch dar. Die Betreuung der 1052 obdachlosen SteyrerInnen lief zur Zufriedenheit der Stadtverwaltung ab, die Zahl der Ausgebombten erschien verhältnismäßig gering. Von vier eingerichteten Hilfsstellen für Fliegergeschädigte wurden bereits drei am nächsten Tag wieder aufgelöst. Als einzige Hilfsstelle blieb diejenige in der Promenadenhauptschule bestehen. Zum Problem wurde die Unterbringung der großen Zahl (ca. 600 Personen) von obdachlosen, zumeist ausländischen, Arbeitskräften der SDPAG. „Die Bergung der Toten wurde durch die Polizei durchgeführt. Wie vorgesehen sollten die Leichen, die bereits von der Kripo identifiziert und freigegeben waren, zur Straße gebracht werden um von dort in die städt. Leichenbestattung zum Friedhof abtransportiert zu werden. Die Freigabe durch die Kripo ging etwas langsam vor sich, es kam vor, dass Leichen stundenlang nicht weggebracht werden konnten. ... Die Toten wurden in die Totenhalle des Krematoriums gebracht. Särge waren durch die vorsorgliche Verlagerung genügend vorhanden."35 Die Beseitigung von Schäden am Telefonnetz, an Häusern, Strom-, Wasser- und Gasleitungen schritt rasch voran, ebenso die Bergung von Hausrat und Möbeln. „Die Haltung der betroffenen Bevölkerung Steyrs kann als tadellos bezeichnet werden. Auch die Haltung der Ausländer war gut, es kam nur vereinzelt zu kleinen Plünderungen bei den Bergungs- 34 vgl. „Kriegstagebuch des Wehrwirtschaftsoffiziers des Wehrkreiskommandos XVII, Eintrag vom 25.02.1944“; Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, T 77/748/1982121 35 „Vorläufiger Bericht über den Einsatz der Stadtverwaltung Steyr bei den Luftangriffen am 23. und 24.02.1944“ a.a.O., S. 2
11 und Aufräumungsarbeiten.“36 Dazu findet sich unter der Rubrik „Recht und Gericht“ in der Oberdonau-Zeitung vom 04.03.1944 ein Artikel. Das Sondergericht in Linz verurteilte demnach einen 47jährigen Franzosen, einen 19- und einen 22jährigen Griechen wegen Plünderungen in Steyr zum Tode. Sie hatten nach den Luftangriffen aus einem zerstörten Gebäude eine leere Pistolentasche, Kleidungsstücke, Schuhe und Brot an sich genommen. Aus der Begründung für dieses Urteil spricht die Ideologie des menschenverachtenden nationalsozialistischen Regimes: Dass die Tat „mit der strengsten Strafe geahndet wird, ist nicht so sehr von einem bestimmten Wert der Diebsbeute, sondern von der besonders verbrecherischen Gesinnung abhängig, die aus ihr spricht. Ob ihrer Verwerflichkeit muss hier der Richter in besonderem Maße das gesunde Volksempfinden zur Richtschnur seiner Entscheidung nehmen.“37 Als einzige Steyrer Umlandgemeinde hatte Bad Hall, neben einem leicht verletzten Ausländer, Todesopfer zu beklagen. Drei Frauen und ein Kind kamen ums Leben. In Letten erlitt ein Ausländer schwere Verwundungen, vier Männer wurden leicht verletzt. 17 Bomber wurden abgeschossen, ein Pilot der Deutschen Luftwaffe stürzte tödlich getroffen ab.38 Die US-Luftwaffe verlor am 24.02.1944 nach deutschen Angaben 20 Mann, zwei Piloten wurden in verwundetem Zustand geborgen, weitere 80 amerikanische Flieger gerieten unverletzt in Gefangenschaft. Diese Zahlen sind aber zu niedrig, denn die 2nd Bomb Group der 20th Bomb Squadron gibt den Verlust von 27 und die Gefangennahme von 113 Besatzungsmitgliedern nach dem Angriff auf die Industrieanlagen in Steyr am 24.02.1944 an.39 6. Die Opfer der Luftangriffe vom 23.02. und 24.02.1944 im Stadtgebiet von Steyr Durch den Ausbau der SDPAG zu einem Rüstungszentrum und dem damit verbundenen Anstieg an Arbeitskräften war der Bevölkerungsstand Steyrs in der NS Zeit wesentlich höher als vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. So betrug am 31.05.1943 der Gesamteinwohnerstand von Steyr 51.127 Personen.40 Vor den Februarangriffen 1944 waren aber bereits 8000 Frauen mit Kindern unter 10 Jahren, Schwangere, Alte und Gebrechliche umquartiert worden, danach folgten weitere 2500 Menschen. Etwa 2000 Personen waren „ohne behördliche Abmeldung“ aus der Stadt geflüchtet.41 7.1. Ermittlung der Anzahl der Todesopfer 36 ebenda, S. 3 37 Oberdonau-Zeitung Nr. 63/04.03.1944, S. 4 und Nr. 64/05.03.1944, S. 4 38 vgl. Handelsberger, Anton: „Der Einsatzflughafen Fels/Wagram“ a.a.O., S. 51f 39 vgl. Peterson, Robert Th.; Hojka, Roman R.: „Bomberschütze und Augenzeuge“ a.a.O., S. 43 40 „Schreiben des Oberbürgermeisters von Steyr an den Gaubeauftragten für die Regelung der Bauwirtschaft, 03.06.1943“; Stadtarchiv Steyr, H/g 1680-1943 II 41 vgl. „Vorläufiger Bericht über den Einsatz der Stadtverwaltung Steyr bei den Luftangriffen am 23. und 24.02.1944“ a.a.O., S. 5
12 Die Luftschutz-Schadensmeldungen wurden einige Tage nach den Angriffen abgeschlossen, als bei weitem noch nicht alle Opfer gezählt waren. Viele Menschen erlagen erst Tage später in den Krankenhäusern ihren Verwundungen. Eine Reihe von Leichen wurden noch Wochen später bei den Aufräumungsarbeiten in den Trümmern der eingestürzten Gebäude gefunden. Um eine möglichst genaue Anzahl der im Stadtgebiet Steyr bei den Bombenangriffen getöteten Menschen zu erreichen, muss man auf mehrere andere Dokumente zurückgreifen. Die Außendienststelle Steyr der Kriminalpolizei meldete nach den Luftangriffen mehrmals eine Aufstellung der Toten und Verletzten an die Kriminalpolizeistelle Linz.42 In diesen Schreiben listete man die Opfer der Angriffe vom 23.02. und 24.02. immer gemeinsam in Tabellen auf. Die letzte Tabelle datierte vom 16.03.1944. Luftangriffe 23.02./24.02.1944 Tote Schwerverletzte Leichtverletzte Deutsche Männer 48 15 62 Deutsche Frauen 29 2 17 Kinder 5 0 1 Wehrmachtsangehörige 16 1 3 Ausländer 42 8 106 Kriegsgefangene 57 53 35 Unbekannte Tote 6 0 0 Gesamtsumme 203 79 224 Zusätzlich zu den Übersichtstabellen erstellte die Außendienststelle Steyr der Kriminalpolizei auch umfangreichere Listen, in denen die persönlichen Daten (Name, Geburtsdatum und -ort, Wohnanschrift, Fundstelle des Toten, Todestag) der ums Leben gekommenen Personen angeführt wurden.43 Diese Listen wurden an den Oberstaatsanwalt in Steyr übermittelt. Sie reichen über das Datum 16.03.1944 und bringen Aufschluss über weitere Tote. Darüber hinaus finden sich in den Beständen des Archivs der Republik weitere Unterlagen und Verzeichnisse zu den Todesopfern des 23.02. und 24.02.1944.44 Die letzten Opfer, die den Februarangriffen zugerechnet wurden, fand man Ende Juni 1944, als drei weibliche und eine männliche Leiche in einem Wald bei Klein aber Mein entdeckt wurden.45 42 vgl. „Tagesbericht der Außendienststelle Steyr der Kriminalpolizei vom 04.03., 14.03. und 16.03.1944“; Archiv der Republik/08/DWM/LA, Luftangriffe 1938-45, Karton 10, Mappe 96 „Luftangriff auf Steyr - Verwundeten- und Gefallenenlisten“ 43 vgl. „Tagesbericht der Außendienststelle Steyr der Kriminalpolizei vom 29.02., 02.03., 09.03., 29.03., 26.04., 02.05. und 27.06.1944 an den Oberstaatsanwalt Steyr“; Archiv der Republik/08/DWM/LA, Luftangriffe 1938-45, Karton 10, Mappe 96 „Luftangriff auf Steyr - Verwundeten- und Gefallenenlisten“ 44 vgl. „Verzeichnis über Leichen im Stadtgebiet Steyr“, „Gefallene Deutsche in Steyr“, „Gefallene italienische internierte Tote in Steyr“, „Gefallene Ausländer in Steyr“, „Ausgefolgte Effekten und Wertsachen Gefallener in Steyr“ Archiv der Republik/08/ DWM/LA, Luftangriffe 1938-45, Karton 10, Mappen 97 bis 101 45 vgl. „Tagesbericht der Außendienststelle Steyr der Kriminalpolizei vom 27.06.1944“; Archiv der Republik/08/DWM /LA, Luftangriffe 1938-45, Karton 10, Mappe 96 „Luftangriff auf Steyr - Verwundeten- und Gefallenenlisten“
13 Diese OstarbeiterInnen hatten dort unter den Bäumen Schutz vor den Bomben gesucht. Nach Auswertung aller vorliegenden Dokumente kamen durch die beiden Luftangriffe im Februar 1944 im Stadtgebiet von Steyr 158 Männer, 52 Frauen und 5 Kinder unter 15 Jahren ums Leben. Zu einer unbekannten Person fehlen sämtliche Daten. Damit ergibt sich mit 216 getöteten Personen eine geringfügig höhere Anzahl von Toten als in der Tabelle oben. Für die Opfer beider Angriffe wurde am 01.03.1944 eine pompöse Trauerfeier auf dem Stadtplatz abgehalten, die wie im Nationalsozialismus üblich, massiv für propagandistische Zwecke und die Ausgabe von Durchhalteparolen benutzt wurde.46 7.2. Weitere Angaben zu den Todesopfern 7.2.1. Geburtsort/Hinweise auf Nationalität und Herkunft Folgende Tabelle gibt Aufschluss darüber, in welchen Ländern die Geburtsorte der Toten lagen. Geburtsort der Todesopfer in Tote Ostmark 72 Italien 75 Frankreich 19 Russland 10 Protektorat 8 Generalgouvernement 7 Spanien 1 Ungarn 1 Kroatien 1 Wehrmachtsangehörige/ohne Angabe 13 ohne Angaben/nicht feststellbar 9 Summe 216 7.2.2. Alter Das Geburtsjahr ist von 144 Personen festgehalten, von nahezu allen 59 Kriegsgefangenen fehlt diese Angabe jedoch. Die Altersstruktur der Opfer setzt sich wie folgt zusammen. Alter Tote Alter Tote 0 - 15 Jahre 5 41 - 50 Jahre 32 46 „Steyrer Heimatblatt“ Nr. 9/1944, S. 4
14 16 - 20 Jahre 17 51 - 60 Jahre 18 21 - 30 Jahre 40 61 - 70 Jahre 4 31 - 40 Jahre 26 71 - 80 Jahre 2 7.2.3. Wohnsitz/Unterkunft Zu 26 Toten finden sich über den Wohnsitz keine Angaben. 56 Menschen hatten eine Adresse im Stadtgebiet. 13 Personen kamen aus Umlandgemeinden. Der größte Teil der Opfer lebte jedoch in den Arbeitslager der SDPAG und der Stadtgemeinde Steyr. Von großer Bedeutung für die soziale Lage der Zwangsarbeiter war „insbesondere die Möglichkeit, in Privatunterkünften zu wohnen, die den Betroffenen die Möglichkeit gab, dem unangenehmen und mitunter nicht ungefährlichen und lebensbedrohenden Lagerdasein zu entkommen (Ungeziefer, Seuchen).“47 Bezeichnung Männer Frauen Geburtsorte in Stalag/Kriegsgefangene 59 0 Frankreich, Italien Lager 5 (Italienerlager) 9 0 Italien, Kroatien Lager 80 5 4 Russland Lager 81 4 0 Frankreich, Protektorat Lager Dunkelhof 0 14 Frankreich, Generalgouvernement, Protektorat Lager Stuag 1 0 Oberdonau Lager Hammer 9 0 Deutsches Reich, Frankreich, Gaue d. Ostmark Lager Hinterberg 0 1 Frankreich Lager Reithoffer 9 0 Frankreich, Generalgouvernement, Protektorat, Spanien Lager Stadtgemeinde 1 0 Oberdonau Lager Strasserhof 0 5 Italien, Tirol Summe 97 24 7.2.4. Fundorte von Leichnamen im Stadtgebiet/Zentren der Bombentreffer Hinsichtlich der Auffindungsorte der Opfer der Februarangriffe lassen sich einige Gebiete und Gebäude als Zentren von Bombentreffern ausmachen. Die Tabelle führt Fundorte mit drei oder mehr geborgenen Toten an. Zu 26 Leichnamen findet sich in den durchgesehenen Dokumenten keine Angabe der Fundstelle. 47 Spoerer, Mark „Schätzung der Zahl, der im Jahr 2000 überlebenden Personen“ a.a.O., S. 8
15 Fundorte mit mehr als 3 Toten Tote Objekt XIII der SDPAG im Wehrgraben 57 Hauptwerk der SDPAG 40 Wälzlagerwerk der SDPAG 22 Lager/Erdbunker Dunkelhof 18 Haus Altgasse 3 7 Haus Fischhubweg 10 6 Haus Brandgraben 8 5 Haus Damberggasse 15 5 Hinterberg 4 Wald bei Klein aber Mein 4 Haus Haratzmüllerstraße 90 3 Haus Mehlgraben 3 3 Summe 174 8. Der Nachtangriff am 24./25.02.1944 In der Nacht vom 24.02. auf den 25.02.1944 erfolgte der erste und einzige Nachtangriff auf die Industrieanlagen in Steyr, der für das Stadtgebiet gänzlich ohne Folgen blieb. Eine LuftschutzSchadensmeldung liegt für diesen Angriff nicht vor. Ein Bericht der Stadtverwaltung Steyr erwähnt, dass „die Bomben außerhalb der Stadt abgeworfen wurden.“48 23 Bomber des 205. Geschwaders der Royal Air Force überflogen, von Italien aus kommend, die Alpen. Sie sollten das Wälzlagerwerk angreifen, verfehlten aber ihr Ziel.49 9. Die Auswirkung der Februarangriffe auf die Produktion der SDPAG Die Angriffe der 15. US-Luftflotte hatten schwerpunktmäßig auf das Wälzlagerwerk gezielt. Hauptsächlich getroffen wurde durch den Angriff am 24.02 aber das Hauptwerk, durch das sich eine Schneise der Verwüstung zog. (Abb. 12 bis 18) Wie aus einer Auflistung der Gebäudeschäden hervorgeht (Abb. 19), waren zwar die Hallen auf dem Areal des Hauptwerks der SDPAG schwer in Mitleidenschaft gezogen, die Maschinen aber noch bis zu 70% brauchbar. Die Fertigung von Waffen und Komponenten für die Kriegsmaschinerie der Wehrmacht und der Luftwaffe war empfindlich getroffen worden. Maschinen zur Waffenproduktion waren zwar bereits 1943 aus dem Hauptwerk in das KZ Gusen ausgelagert worden. Die verbliebene Gewehr- und Pistolenfertigung wurde jedoch bei den 48 „Vorläufiger Bericht über den Einsatz der Stadtverwaltung Steyr bei den Luftangriffen am 23. und 24.02.1944“ a.a.O., S. 3
16 Luftangriffen beschädigt und erlitt einen starken Produktionsrückgang.50 Die Fertigungsstätten für die Luftwaffen wurden völlig zerstört, so dass es zum Totalausfall der Kabinen-, Fahrwerk- und Flugmotorenfertigung kam.51 Auch die Fahrzeugproduktion erlitt große Einbußen. „War im Jänner mit einem Monatsausstoß von 980 Lastkraftwagen das bisherige Fertigungsmaximum erreicht worden, sank die Fertigung im Februar stark ab, ein Großteil der Monatsproduktion war allerdings bereits ausgeliefert, sodass der Output noch 70% des Vormonats erreichte. In den folgenden drei Monaten kam die Lastwagenfertigung nahezu zur Gänze zum Erliegen, es wurde nur mehr ein Zehntel des Jännervolumens abgestellt.“52 Schon vor den Februarangriffen war die Luftlagerfertigung nach Letten verlegt worden, wo fast 20% der gesamten Luftwaffenfertigung hergestellt wurde.53 Das Wälzlagerwerk in Steyr trug bei den Angriffen verhältnismäßig geringe Schäden davon. Durch Störungen in der Stromversorgung und den kurzen Ausfall der Schleiferei nach dem Bombentreffer am 23.02. sanken die Produktionszahlen im März von 735.00 Lager auf 516.000 Lager.54 Die Leitung der SDPAG bemühte sich schon vor den Luftangriffen 1944, ihre Fertigungsmaschinen aus den Werken in Steyr abzuziehen und in bombensicheren Kellern und Stollen unterzubringen. Nach den erfolgten Bombardierungen intensivierte das Unternehmen diese Bestrebungen. 10. Der Luftangriff am Palmsonntag, 02.04.1944 – „Das Wunder von Steyr“ Nach den Angriffen der „Big Week“ stand das Wälzlagerwerk immer noch relativ unversehrt, eine Tatsache, die der alliierten Luftaufklärung mit Sicherheit nicht verborgen geblieben war. Der nächste Angriff auf die SDPAG sollte bereits am 23.03. stattfinden, doch Schlechtwetter verhindert wie am 24.03. und 26.03. den Flug über die Alpen.55 Am Palmsonntag, 02.04.1944, ereignete sich schließlich jener Bombenangriff, der aufgrund seines für die Stadt und die Menschen in Steyr relativ glücklichen Ausgangs als „Wunder von Steyr“ bezeichnet wurde. Der Anflug der amerikanischen Bomber erfolgte von Ost, Südwest und West. Zwischen 11.10 Uhr und 11. 25 Uhr überflogen laut deutschen Angaben ca. 200 Maschinen in fünf Wellen das Stadtgebiet.56 Amerikanischen Berichten zufolge betrug die Anzahl der eingesetzten Flugzeuge 49 vgl. Handelsberger, Anton: „Der Einsatzflughafen Fels/Wagram“ a.a.O., S. 53 50 vgl. Schausberger, Norbert: „Rüstung in Österreich 1938-1945“ Hollinek, Wien 1970, S. 146 und Perz, Bertrand: „Projekt Quarz“ a.a.O., S. 167 51 vgl. Schausberger, Norbert: „Rüstung in Österreich 1938-1945“ a.a.O., S. 146 52 Rauscher, Karl-Heinz; Knogler, Franz: „LKW aus Steyr“ a.a.O., S. 101 53 vgl. „Kriegstagebuch des Rüstungskommandos Linz, 1.Quartal 1944“; Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, T 77/ 744/1976430 54 vgl. ebenda T 77/744/1976428 und 426 55 vgl. Handelsberger, Anton: „Der Einsatzflughafen Fels/Wagram“ a.a.O., S. 72ff 56 Zahlenangaben, wenn nicht anders angegeben, aus: „Luftschutz-Schadensmeldung über den erfolgten Luftangriff auf Steyr am 02.04.1944“; Stadtarchiv Steyr, C/a 1211-1944, 2311-1945
17 über 400.57 Der 02.04.1944 war ein schöner Frühlingstag. Die Wetterbedingungen über Steyr wurden als wolkig angegeben, die Sichtweite betrug 20 km.58 Eine Möglichkeit der passiven Luftabwehr bestand darin, den angreifenden Flugzeugen den Blick auf ihre Ziele durch künstlichen Nebel zu erschweren. Erzeugt wurde dieser Nebel mittels hochgiftiger Chemikalien, die auf der menschlichen Haut schlimme Verätzungen hervorrufen konnten.59 An geeigneten Punkten im Stadtgebiet waren Vernebelungsfässer aufgestellt, die über ein Sprührohr die Chemikalien in die Luft bliesen. Bedienen mussten die Fässer ausländische Hilfskräfte. (Abb. 27) Als nun für Steyr an diesem Palmsonntag Luftalarm ausgelöst wurde, erteilte man den Befehl zur Vernebelung. „Vernebelt wurde, was nur aus den Nebelfässern herauszuholen war.“60 Die dichte Wolke künstlichen Nebels, die sich über die Stadt gelegt hatte, wurde aber vom aufkommenden Wind in Richtung des südöstlich von Steyr gelegenen Ramingtals getrieben. Eine Schilderung der Situation beim Anflug auf Steyr gab der amerikanische Major Alvin E. Croons: „Die Angriffsachse auf die Steyr Daimler Puch Werke laut Feldorder lag bei 320°. Beim Annähern auf das Ziel wurde deutlich, dass eine Wolke das Ziel verhüllen würde, sodass ein Blind-Bombing hätte erfolgen müssen. Auf der anderen Seite war das Wälzlagerwerk klar sichtbar und es wurde noch nicht bombardiert. Zu diesem Zeitpunkt entschied der Group-Leader Lt. Col. Kenneth A. Cool das offene und weit wichtigere Ziel zu bombardieren.“61 150 Spreng- und 250 Brandbomben wurden am Areal des Wälzlagerwerks gezählt. Trafostation, Tankanlage und die Hallen II, III und V wurden bei diesem Angriff vollständig zerstört. An der Werksküche sowie an den Hallen I und IV wurden schwere Schäden festgestellt. (Abb. 21, Abb. 23 bis 26) Das Hauptwerk wurde mit 10 Spreng- und 132 Brandbomben nur leicht getroffen. Zwei Baracken des Bauhofs wurden total zerstört. Schäden an der Flumo-Halle wurden als mittelschwer eingestuft, das Gusswerk, das Billek-Lager, der H-Bau, die Härterei und das Ersatzteile-Lager wurden leicht beschädigt. In Wohngebiete trafen 60 Spreng- und 165 Brandbomben. Dabei wurde das Wohnlager Hammer schwer getroffen. 18 Baracken brannten vollständig ab. 980 Personen, davon 450 Ausländer, wurden obdachlos. Aus einem Bericht der Stadtgemeinde erfährt man, dass im Lager „700 Personen an ihrem Hab und Gut total geschädigt“ wurden.62 Für sie leitete man Hilfsmaßnahmen ein. 30 Gebäude wurden im restlichen Stadtgebiet völlig zerstört, 27 schwer, 34 mittelschwer und 245 leicht beschädigt. 640 Bewohner dieser Häuser mussten in Obdachlosensammelstellen betreut 57 vgl. Handelsberger, Anton: „Der Einsatzflughafen Fels/Wagram“ a.a.O., S. 72ff 58 vgl. „Luftgaukommando XVII. Einflug-Abendmeldung vom 02.04.1944“; Archiv der Republik/08/DWM /LA, Luftangriffe 1938-45, Karton 1, Mappe 10 59 Interview mit Frieda Meindl vom 01.03.2002 und Interview mit Leopoldine Grundner vom 08.07.2002 60 Chronik der Stadtpfarre Steyr, S. 267 61 Handelsberger, Anton: „Der Einsatzflughafen Fels/Wagram“ a.a.O., S. 78 62 vgl. „Bericht über den am 02.04.1944 erfolgten Luftangriff auf die Stadt Steyr vom 13.04.1944“; Stadtarchiv Steyr, C/a 12111944, 2311-1945
18 werden. Einige Fernleitungen im städtischen Umspannwerk fielen nach leichten Schäden für einige Tage aus. Die Eisenbahnbrücke über den Ramingbach erhielt einen Treffer. Bahnreisende mussten an der Brücke umsteigen, der Frachtverkehr konnte acht Wochen lang nicht abgewickelt werden. Von 521 über dem Stadtgebiet abgeworfenen Sprengbomben fielen 295, von 4011 festgestellten Brandbomben fielen 3463 auf freies Gelände, Der größte Teil der Bomben wurde aber nicht über Steyr abgeworfen. „Die Schäden bei diesem Angriff waren im Stadtgebiet gering, da durch die restlose Vernebelung 50% des geplanten Angriffes in die Gemeindegebiete Behamberg, Kleinraming und St. Ulrich vertragen wurden. Es wurden dort ca. 30 Bauernhöfe zerstört.“63 In Behamberg konnten aufgrund der Schneelage nicht alle Sprengkörper gezählt werden, in Kleinraming schlugen 240 Spreng- und 689 Brandbomben ein und auf St. Ulrich gingen 408 Spreng- und 319 Brandbomben nieder. Die Sachschäden in diesen Gemeinden waren enorm. Große Gebiete glichen durch die Vielzahl der Einschlagskrater einer Mondlandschaft. (Abb. 28 bis 30) Josef Fuchshuber aus Behamberg berichtet, wie er den Angriff miterlebte: „Wir waren nicht lange im Keller, da begann es neuerlich zu dröhnen. Dann folgten ohrenbetäubende Explosionen. Ein Bombenhagel entlud sich in unserer unmittelbaren Nähe. Eine Bombe traf mitten in mein Elternhaus und legte es vollends in Schutt. ... Selbst die Kellermauern wurden noch verschoben, sodass meine Mutter im Kellergang zwischen zwei Fässern eingeklemmt war. Ihre Befreiung war nur durch Zerschlagen eines Fasses möglich. ... Auf dem kleinen Flecken Grund von schwach 4 Joch befanden sich allein 14 riesige Bombentrichter.“64 Durch einen Treffer in die Flak-Stellung Unterwald sollen 46 Menschen, Wehrmachtsangehörige und russische Kriegsgefangene, getötet worden sein.65 In der Luftschutz-Schadensmeldung nahm man weitere Tote an. „Eine unbestimmte Anzahl Gefallener und Verletzter werden sich noch in den Gemeinden St. Ulrich und Behamberg ergeben, darunter auch solche, die aus dem Wälzlagerwerk in waldiges Gelände außerhalb des Stadtgebietes flüchteten.“66 Aus den vorliegenden Dokumenten ist aber nicht feststellbar, ob noch mehr Menschen Opfer des Bombenangriffs am Palmsonntag 1944 wurden. In folgender Tabelle sind die Opfer nach der Luftschutz-Schadensmeldung vom 02.04.1944 in den drei am stärksten betroffenen Steyrer Umlandgemeinden angeführt. 63 „Bericht über den am 2.4.1944 erfolgten Luftangriff auf die Stadt Steyr“ a.a.O. 64 Fuchshuber, Josef: „Behamberg und seine Geschichte 1082-1982“ Gemeinde Behamberg, Behamberg 1982, S. 258 65 vgl. Fuchshuber, Josef: „Behamberg und seine Geschichte 1082-1982“ a.a.O., S. 257f. Eine Belegung durch Dokumente konnte nicht gefunden werden 66 „Luftschutz-Schadensmeldung über den erfolgten Luftangriff auf Steyr am 02.04.1944“; a.a.O.
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