Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 93 - Seite zu Berufsständen umgedeutet und dadurch in etwa ver• christlicht wurden. Aber es wurde im ganzen nur erreicht, daß den bestehenden Geburtsständen ein gewisses Maß vertiefter sozial• ethischer Gesinnung eingepflanzt wurde. Soziologisch gesehen blieb als Einungsprinzip das Geblütsrecht in Kraft. Dieses wurde nicht abgelöst durch das andere Einungsprinzip des den individuellen Fähigkeiten Raum gebenden Leistungswettbewerbs. Es führt nur zur Begriffsverwirrung, wenn man die mittelalterlichen Stände, die als echte Stände eben Geburtsstände waren, und die vorgeschlage– nen Leistungsgemeinschaften als „Berufsstände" unter einen Ober– begriff „Stand überhaupt" zusammenfaßt. Eine solche Termino– logie mag auf einer sehr hohen Abstraktionsstufe der Begriffsbildung formal einwandfrei sein, ist aber ganz unfruchtbar für eine ge– schichtsnahe soziologische Wirklichkeitserkenntnis. Denn „Berufs– stand" hat mit Herrschaftsstand und Geburtsstand, wie Oswald von Nell-Breuning 1 betont, ,,nichts gemein". Wo aber mehreren Wirk– lichkeiten nichts gemein ist, soll auch keine gemeinsame Bezeich• nung angewandt werden. Das ist eine Grundbedingung der wissen– schaftlichen Klarheit. Die Leistungsgemeinschaft ist gegen den Begriff des Standes ebenso klar abzugrenzen wie gegen den Begriff der Klasse. Noch ein anderer Grund spricht gegen die Bezeichnung der in dem päpstlichen Rundschreiben vorgeschlagenen Gesellschafts– gliederung als „berufsständischer Ordnung". Jede Ständeordnung ist Herrschaftsordnung. Ohne einen herrschenden Stand, der den übrigen Ständen ihre Stelle und Bedeutung zuweist, löst sich das ganze horizontal gegliederte Ständegefüge auf, weil die einzelnen Stände sich selber auflösen und neue Gruppierungen entstehen, die auf anderen Einungsprinzipien beruhen. Die neuere abend– ländische Geschichte zeigt das dem soziologisch geschärften Blick klar und deutlich. Auch Schwer hat erkannt: das ständische Denken besteht in „der tätigen Anerkennung eines gegebenen Systems von Unter- und Überordnung" 2 • Das stimmt überein mit dem Satze Freyers: ,,Stände sind Glieder in einem Herrschaftsbau" 3 , und mit der Auffassung Franz Steinbachs, daß ständische Ordnung 1 Oswald von Nell-Breuning und Hermann Sacher, Zur christlichen Gesellschaftslehre. Freiburg o. J. (Beiträge zu einem Wörterbuch der Politik, Heft I, 1947) 68 f. 2 S. oben S. 7. 3 Freyer, a. a. 0. 276.

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