Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 91 - verschiedenen Begabungen und Neigungen oft keine entsprechen– den Auswirkungsmöglichkeiten gegeben sind, wird die Gliederung der Gesellschaft nach echten sozialen Berufen immer ein zwar an– zustrebendes, aber doch nie ganz erreichbares Ziel bleiben. * Noch entschiedener als der erste ist der zweite Bestandteil des Ausdruckes „Berufsstand" im Sinne der von der Kirche emp– fohlenen Neugliederung der Gesellschaft fallen zu lassen. Die vor– geschlagenen Gliederungen sind keine Stände. Schwer hat, gestützt auf die Ethymologie des Wortes „Stand" und auf die Soziologie Hans Freyers, ausgeführt, daß dieser Begriff die Standfestigkeit einer Menschensch:cht im sozialen Gefüge bedeutet. Aber dann hat er diesen präzisen Ansatz der Begriffsbestimmung ins Un– bestimmte verschwimmen lassen durch den Zusatz: ,,gleichviel wodurch im einzelnen Falle diese Dauerhaftigkeit bewirkt und er– halten wird" 1 • Die Standfestigkeit einer Menschenschicht im sozialen Gefüge ist nur da gewährleistet, wo es ein generationenverbinden– des - ungeschriebenes oder geschriebenes - Geblütsrecht und ein exklusives Connubium gibt. Kommt in Ausnahmefällen jemand von anderer Abstammung in das geschlossene Gebilde eines Standes hinein, so wird doch für seine Nachkommen wieder die Standes– zugehörigkeit durch die bloße Abstammung primär bestimmt. Alle echten Stände sind Geburts- und Erbstände. Ein lehrreicher Beweis für die Undurchführbarkeit des oft gemachten Versuches, ,, Geburtsstände" und „Berufsstände" als zwei prinzipiell nicht voneinander abhängige und insofern gleicher– maßen mögliche Arten von Ständen nebeneinanderzusetzen, ist der Artikel über „Stände und Klassen" von Ferdinand Tönnies im Handwörterbuch der Soziologie 2 • Die äußere Form der Darstellung, die in getrennten Abschnitten„ Geburtsstände" und „Berufsstände" behandelt, erweckt zunächst den Eindruck, als würden hier zwei spezifisch verschiedene Arten von Ständen in Parallele gesetzt. Warum auch sollte das nicht möglich sein? Führt Tönnies doch aus, daß Stände und Klassen nur da vorhanden seien, wo es ein Stände- und Klassenbewußtsein gibt. Eine bestimmte Bewußt– seinsverfassung scheint somit das entscheidende Merkmal zu sein. 1 S. oben S. 6. 2 Handwörterbuch der Soziologie. Herausgegeben von Alfred Vierkandt, Stuttgart 1931, 617-638.

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