Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 90 - gezeigten sozialen Aufgabe, aber sie lassen uns mit nüchternem Realismus ihre Neuheit und Größe erkennen. * Diesem notwendigen Realismus ist es allerdings nicht förder– lich, daß Schwer sich die weithin übliche Übersetzung des Aus– druckes „ordo" aus dem päpstlichen Rundschreiben„ Quadragesimo anno" (1931) mit „Berufsstand" zu eigen gemacht hat. Dagegen ist zweierlei einzuwenden: In den vorgeschlagenen Zusammenschlüssen werden viele Menschen nicht gemäß ihrem wirklichen sozialen Beruf zusammengefaßt sein, und vor allem sind diese Zusammen– schlüsse keine echten Stände. In der heutigen und auch in der zukünftigen Gesellschaft wer– den bei den wechselnden Chancen im wirtschaftlichen Existenz– kampf viele Menschen eine Tätigkeit ausüben müssen, die nicht ihrer Neigung und ihren für die soziale Auswirkung relativ besten Fähigkeiten entspricht. Zwar wird man auch in den objektiven Zuständen der Zeit und Umwelt, in die der einzelne sich hinein– gestellt sieht, ein Element seiner sozialen Berufung durch die berufende göttliche Vorsehung erkennen müssen. Aber wenn die Härte und die gesteigerte Dynamik der Wirtschaftsgesellschaft das subjektive Element des Berufes, das in individuellen Fähig– keiten und Neigungen liegt, sehr oft völlig ausschaltet, dann kann man hier das Wort „Beruf" nicht anwenden, es sei denn als ein ganz leeres Wort. In den „collegia", ,,corpora" oder „ordines", denen das päpstliche Rundschreiben eine Hauptaufgabe bei der Neuordnung der Gesellschaft zuweist, werden die Menschen nicht durch ihren sozialen Beruf, sondern durch eine gemeinsame, oft genug aufgezwungene, faktische Leistung zusammengefaßt sein 1 • Beruf ist ursprünglich ein religiöser Begriff. Er bezeichnet das ideale, individuell verschiedene Verhältnis der Hingabe des Menschen an Gott und des Dienstes am mystischen Leibe Christi. In dieser das Wcltliche transzendierenden Bedeutung ist der Beruf des Menschen immer realisierbar, quer durch alle günstigen und un– günstigen Gesellschaftsverhältnisse hindurch. Im soziologischen Sinne jedoch ist der Begriff zwar nicht ohne religiösen Hintergrund, zielt aber unmittelbar auf wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle, also weltliche Zusammenhänge. Da hier den individuell 1 Vgl. Arthur Fr. Utz, Zum Problem der berufsständischen Ordnung, in: Die neue Ordnung. 5. Jg. (1951) 55 ff.
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