Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 89 - Notstandshilfe gab, das elementar Notwendige auf diesen Gebieten durch genossenschaftliche Zusammenschlüsse in den Siedlungs– gemeinschaften zu besorgen 1 • Insofern waren die älteren Genossen– schaften von einem anderen Geist erfüllt als die städtischen Zünfte, in denen sich freie Handwerker und Händler zur privaten Gewinn– steigerung zusammenschlossen. Vor allem aber ist zu bedenken, daß die alten ländlichen Genossenschaften unter der Botmäßig– keit der Grundherren standen, die vielfach selber oder durch Stell– vertreter den Vorsitz führten. Nicht freie Bauern, sondern zu– meist Hörige und Leibeigene waren in den ländlichen Genossen– schaften zusammengeschlossen. Der Staat hatte hier ein altes soziales Strukturprinzip, das überhaupt zur Entwicklung höherer sozialer und kultureller Zustände unentbehrlich ist, aufgegriffen und in den Dienst eines grundherrschaftlichen Gesamtaufbaues gestellt. Die innerhalb eines Hörigkeitsverhältnisses zum Grund– herrn bestehenden ländlichen Hof-, Mark-, Weide-, Fischerei-, Fähr– und Mühlengenossenschaften waren viel zahlreicher und umfassen– der als die von Grundherrschaft und Hörigkeit sich lösenden und gegen dieses Strukturprinzip sich wendenden Zusammenschlüsse freier Gewerbebürger und Kaufleute. Eine Untersuchung des ge– samten mittelalterlichen Genossenschaftswesens, die nicht nur auf die Teilerscheinung der bürgerlichen Zünfte und Gilden schaut, wird die Feststellung Schwers bestätigen, daß im Verlauf des ganzen Mittelalters das Prinzip freier Vergenossenschaftung nie über das Prinzip der Grundherrschaft gesiegt hat. Die Idee, daß an die Stelle der alten Geburts- und Erbstände nunmehr Leistungsgemein– schaften treten sollen, in denen sich freie Einzelmenschen, unab– hängig von Abstammung und ererbten Privilegien und Lasten, nur nach Neigung und Leistungsbereitschaft zusammenschließen, um die amorph gewordene Gesellschaft wieder zu ordnen - diese Idee kann sich nicht auf irgend eine frühere Verwirklichung stützen 2 • Gerade durch diesen Nachweis tun geschichtliche Untersuchungen wie die vorliegende von Schwer uns heute einen wichtigen Dienst. Sie geben nicht Anlaß zur Resignation vor einer von der Kirche 1 Vgl. Bruno Kuske, Die kulturhistorische Bedeutung des Genossenschafts– gedankens. Halberstadt 1928. 2 Diese Erkenntnis Schwers wurde später noch schärfer herausgearbeitet durch Franz Steinbach, Geburtsstand, Berufsstand und Leistungsgemeinschaft. Studien zur Geschichte des Bürgertums II, in: Rheinische Vierteljahrsblätter. 14. Jg. (1949).
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