Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

Nachwort des Herausgebers. Otto Schilling schrieb nach 1949 in seiner „Christlichen Gesell– schaftslehre" (München o. J. S. 67) folgenden Satz: ,,In der Blüte– zeit des Mittelalters waren die christlichen Ideen, die sich auf die Ehre der Arbeit, auf Beruf und berufsständische Gliederung beziehen, zur Geltung gekommen, mit der Folge, daß eine Ordnung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und ein Stand der Kultur erreicht wurden wie nie zuvor und nie hernach." Wer die vorliegende Schrift von Wilhelm Schwer gelesen hat, weiß, daß eine solche optimistische Beurteilung des mittelalterlichen Sozial– lebens nicht mehr haltbar ist. Nun versteht man allerdings unter ,,Mittelalter" einen Zeitraum von etwa fünfhundert Jahren oder, wenn man Vorbereitung und Ausklang hinzunimmt, ein volles Jahrtausend europäischer Geschichte. Manche sozialwissenschaft– liche Autoren der Gegenwart, die nicht verzichten möchten auf die tröstliche Gewißheit, daß es doch einmal schon eine wirklich christliche Sozialordnung gegeben habe, machen sich die Weite dieses Zeitraumes zunutze, indem sie das Positive, das gepriesene harmonische Gemeinschaftsleben einer organisch gegliederten Gesamtordnung, der Früh- und Hochzeit, das Negative jedoch, den Gruppenegoismus der Stände und Standesorganisationen, der Spät- und Verfallszeit des Mittelalters zuschreiben. 1 Aber der im Mittelalter tatsächlich bestehende Gegensatz von Solidaritäts– bewußtsein und Gruppenegoismus ist nicht einfach durch eine zeitliche Aufteilung in ein gutes und ein schlechtes Mittelalter zu begreifen. Schwer hat gerade an den Handwerkerzünften und Kaufmannsgilden, die immer wieder als beispielhaft für eine leistungsgemeinschaftliche Gliederung hingestellt werden, gezeigt, daß solidarische Verbundenheit nach innen sich sehr wohl mit einem gesteigerten Gruppenegoismus nach außen hin verträgt. Nicht erst in einem späten Entwicklungsstadium waren die Zünfte 1 So z. B. Otto Schilling in der Besprechung der vorliegenden Arbeit Schwers in der Tübinger Theologischen Quartalschrlft. 115. Jg. (1934) 454 f.

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