Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 84 - von den alten bevorrechtigten Ständen zu retten war _. davon waren bald allenthalben die Besten überzeugt _., konnte nur durch eine Bluterneuerung, durch Auffüllung mit dem Berufs– gedanken und Berufsethos am Leben erhalten werden. Und die mächtig von unten nachdrängenden neuen Volksschichten waren gleichfalls nur dadurch vor der Nivellierung durch die heran– nahende kapitalistische Produktionsordnung und vor der Ver– massung durch eine egalitäre formale Demokratie zu bewahren, daß man sie durch das gliedernde Moment des Berufs in eine neue ständische Volks- und Staatsordnung aufnahm. In den Rheinlanden, wo westlich-demokratisches und deutsch– konservatives Denken sich am unmittelbarsten berühren, tauchen diese Ideen bezeichnenderweise schon auf, als die Revolutions– heere sie noch besetzt hielten 1 • Und ungemein reizvoll ist es zu verfolgen, wie auch im übrigen Deutschland bis über das Jahr 1848 hinaus die geistig führenden Männer, an denen diese Zeit so ungewöhnlich reich war, mit ihnen sich abfanden: die Restau– rationspolitiker um de Maistre und v. Haller; die Romantiker von Friedrich v. Schlegel und Adam Müller bis zu Görres und Schelling; ein Fichte und ein Freiherr vom Stein; die preußischen Konservativen um die Gebrüder von Gerlach, um v. Radowitz und F. J. Stahl; der Mitarbeiterkreis der Historisch-politischen Blätter; die rheinischen Liberalen bis zu Peter Reichensperger. Wie bei allen die heimliche Liebe zum Alten im Kampfe liegt mit dem Neuen, an das man sich erst langsam gewöhnen muß, und dem man vielfach auch nur sehr vorsichtige und verklausu– lierte Zugeständnisse macht. Dabei sind, sooft sie sich auch berühren mögen, die Bemühungen, der Wirtschaft wiederum eine berufsständische Ordnung zu geben, scharf zu trennen vom staatsrechtlichen Problem einer berufsständischen Verfassung. 5. In den 50er Jahren flaut der berufsständische Gedanke bereits merklich ab. Im politischen Bereich siegt die Idee des konstitutionellen Staates auf der Grundlage politischer Parteien. Im Wirtschaftsleben wird er durch den Einbruch des Liberalismus und Kapitalismus in den Hintergrund gedrängt. - - Und nun steht heute die alte Frage doch wieder vor uns! Und zwar in nie erlebter Eindringlichkeit in beiden Räumen, im wirt– schaftlichen und politischen, zugleich! Fast will es scheinen, 1 J. Hashagen, Das Rheinland und die franz. Herrschaft, Bonn 1908, 385 ff.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2