Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 82 - nismus, der jedes Verständnis für einen berufsständischen Aufbau abging. So mußte über die vom völligen Verfall bedrohte Gesell– schaft und Wirtschaft ein anderer kommen, um Ordnung zu schaffen: der absolutistische Fürstenstaat des 17. und 18. Jahr– hunderts. Er unterwirft nicht nur seiner landesherrlichen Ge– werbepolizei die Reglementierung des gewerblichen Lebens, die den vom alten Geiste längst verlassenen Zünften völlig aus der Hand geglitten war. Er nimmt auch den Kampf gegen das Scheingebilde einer berufsständische.1 Verfassung, die Land– stände, auf und entmachtet sie mehr oder weniger völlig, selbst da, wo sie ein Schattendasein noch bis ins 19. Jahrhundert hinein fristeten. Da nur wenige Regenten einsichtig genug waren, die politisch entrechteten Herrenstände nach dem Vorbilde der Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. nunmehr zu neuen Aufgaben und Pflichten im Staate heranzuziehen, mußte somit der Gegensatz zwischen ihren gesellschaftlichen Vorrechten und ihrer gesellschaftlichen Nutzlosigkeit nur noch klaffender sich auftun. Ohne daß er es ahnte, fiel daher im Zuge der ständischen Entwicklung dem fürstlichen Absolutismus die Aufgabe zu, die Dinge auf die Spitze zu treiben und zum end– gültigen Umbruch reif zu machen 1 . 3. Dieser begann daher folgerichtig auch dort, wo das .Miß– verhältnis zwischen einer kleinen Minderheit untätiger Privi– legierter und der übergroßen Mehrheit des arbeitenden aber rechtlosen Volkes am unerträglichsten geworden war: in Frank– reich. Hier nahm die große französische Re voIu t ion den am Ende des Mittelalters ergebnislos abgebrochenen Kampf gegen die feudalen Mächte wieder auf, setzte die urchristlichen Ideen der Freiheit und Gleichheit - freilich rationalisiert und säku– larisiert ~ aufs neue ein und führte sie in brutaler Einseitigkeit endlich für kurze Zeit in die Wirklichkeit über. Ein Testaments– vollstrecker, der auch hier wieder einmal den Willen des Erb– lassers ins Groteske steigerte. In der berühmten Schrift des Abbe Sieyes „Qu'est-ce que Je tiers etat?" mit ihren drei uner– bittlich auf Entscheidung drängenden Eingang&fragen 2 ist das 1 Heinr. Herrfahrdt, Das Problem d. berufsständischen Vertretung von d. franz. Revolution bis zur Gegenwart, Stuttgart und Berlin 1921; Edgar Tatarin– Tarnheyden, Die Berufsstände, ihre Stellung im Staatsrecht und die deutsche Wirtschaftsverfassung, Berlin 1922. 2 Neue Ausgabe von 0. Brandt in: Klassiker d. Politik Bd.9, Berlin 1924.

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