Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
Ausblick.. t. Über die Entbindung der geistigen und sittlichen Kräfte, die, aus den Tiefen der zum Leben erwachten freien christlichen Persönlichkeit aufsteigend, auf einen Umbau und Neubau der gesamten Gesellschaft hinzudrängen schienen, ist das Mittel– alter nicht hinausgelangt. Die alte feudal-herrenständische Ordnung erzitterte, als seine letzten Zeiten herannahten, bis in ihre Tiefen hinein - aber sie stand noch aufrecht. Und die neuen Ideen christlicher Gleichheit, Freiheit und Menschen– würde waren zwar auf allen Gebieten der geistigen und sittlichen Kultur am Werke - doch zum Ziele selbst haben sie nicht durch– zudringen vermocht. So bietet das ausgehende Mittelalter das erschütternde Bild einer Verschärfung der ständischen Gegen– sätze, die vielfach in offenen Klassenhaß umschlug, und, nachdem die Druckerpresse als mächtiger Helfer in das gewaltige Ringen miteingetreten war, in einer beispiellos rohen literarischen Polemik sich Luft machte 1 . Alle Sturmzeichen einer sozialen Revolution mußten schon den Zeitgenossen den Gedanken nahelegen, daß. der Endkampf nahe bevorstehe. 2. Aber diese erwartete Entscheidung erfolgt nicht. Sondern an den ersten stürmischen Anlauf der neuen Ideen gegen die mit tausendjährigen Wurzeln im Boden befestigte herrschaftsstän– dische Ordnung schließt sich ein Zwischenakt, eine Periode des Stillstandes und der Rückbildung an. Die innere Aushöhlung und Entwertung des alten Systems ist zwar offenbar. Doch die Ansätze zu einer berufsständischen Aufgliederung, die überall wenigstens im Keime vorhanden waren, entwickeln sich nicht mehr weiter. Die Berufslehre Luthers, die ihren Ruf zum Teil einer sehr unzulänglichen Kenntnis der mittelalterlichen Ideen– welt verdankt, und seine Ständelehre, die sich einfach auf die bestehende Ordnung festlegte, konnten diesen Niedergang eben– sowenig aufhalten, wie die vielberufene Arbeitslehre des Kalvi- 1 Bezolct a. a. 0 .
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