Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 80 - erstaunlich belesenen Johannes von Salisbury (t 1180). Während Abaelard (t 1142), den er in Paris gehört hat, noch an das pau– linische Bild der Kirche anknüpft1, lehnt sich der Freund des Thomas Becket und spätere Bischof von Chartres an eine als „ lnstitutio principis - Epistola ad Trajanum" im Mittelalter umlaufende Schrift an, die fragmentarisch auch nur in seinen Auszügen enthalten ist und irrtümlich Plutarch zugeschrieben wurde 2 • Ihre Herkunft ist ebenso dunkel, wie die Frage, ob sie lateinisches Original oder griechische Übersetzung gewesen, und ob auch hier platonische Ideen, wie bei Plutarch selbst, sich ins Mittelalter fortpf1anzen 3 • Jedenfalls hat Johann von Salisbury, wie er nach seinem englischen Geburtsort genannt wird, von der hier vorgefundenen Analogie weitgehenden Gebrauch gemacht''. Auch ihm ist die im Staate geeinte menschliche Gesellschaft vorgebildet im Menschen, dem „mundus minor", dem „micro– cosmus", dessen Glieder in den einzelnen Berufsständen, vom Fürsten abwärts bis zu den Landleuten, Handwerkern und WoJl– wirkern in vergrößertem Maßstabe wiederkehren. Der Vergleich wird mit solcher Kühnheit durchgeführt, daß nach dem Ver– fasser eine Vernachlässigung und Erkrankung der unteren Volks– schichten zur „Podagra" für den Fürsten werden kann. Viel– leicht lehnt sich an ihn auch das „Communiloquium" des Franzis– kaners Johannes Guallensis, also eines Landsmannes an, der seine ganze Sozialethik auf diesem Schema aufbaut, und in einen kürzeren Auszug für den Gebrauch der Prediger auch die prak– tischen Folgerungen aus dieser Leitidee des „corpus universale compaginatum ex membris" zieht 6 • Der gemeinsame Dienst am lebendigen Leibe der Gesellschaft setzt eine Verbindung (,,colli– gatio") der Glieder untereinander voraus, die weit über die natürlichen Bande der Verwandtschaft hinausgeht und auch die Nachbarn und Bürger zu geseJligem Leben (colligatio socialis in convictu), zu gegenseitiger Hilfeleistung und zur Vermeidung al]er betrügerischen Übervorteilung im Handel und Wandel verpflichtet. 1 Epitome theologiae christianae c. 29 (Migne PL 178, 1741). 2 Plutarchi Opera ed. Dübner, Paris 1855, V, 59 f. 3 C. Schaarschmidt, Johannes Saresberiensis, Leipzig 1862, 123 f.; P. Gennrich, Die Staats- und Kirchenlehre Johannes von Salisbury, Gotha 1894, 120 ff. 4 Policraticus, a. a. 0. 1, IV-VI. 5 Communiloquium P. 1-IV; De regimine vitae humanae, P. I (gedruck, u. a. Straßburg 1518).
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