Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 73 - Offensichtlich ist gerade dieser Einbau des Berufsgedankens in eine Ordnung, die sich ursprünglich durchaus nach Geburt, Macht und Besitz aufgliederte, ein weiterer bedeutungsvoller Schritt auf eine künftige bessere und menschenwürdigere Lösung, den leistungs- und berufsständischen Aufbau, hin. So wuchsen die heterogenen Bestandteile dieser primitiveren Schichtung - biologisch-ethnische Unterschiede der Herkunft und real-histo– rische der einstmaligen Herrschaftsgründung - nach Freyers 1 zutreffendem Ausdruck aJlmählich in ein neues Leistungsschema hinein, das vielleicht bei ungestörter Weiterentwicklung imstande gewesen wäre, sie völlig einzuschmelzen, sicher aber ihre Unge– rechtigkeiten und Härten weitgehend zu mildern und zu über– winden. Das Mittelalter hat dieses Ziel nicht erreicht. Gleich– wohl muß man anerkennen, daß seine unausgesetzten Bemü– hungen, die innere Hohlheit herrenständischer Ansprüche und Vorrechte durch das Leistungsprinzip aufzufüllen und so vor dem Zusammenbruch zu bewahren, das ganze ständische Problem an der Wurzel packten. Auf demselben Wege ist, wie hernach das Schlußwort noch andeuten soll, auch die neuere Zeit an die Rettung der noch aufrechtstehenden Reste der alten feudal– ständischen Ordnung herangegangen. e) Auch in ihrem eigenen Bereich war die mittelalterliche Kirche, bei allen Zugeständnissen, die sie den bestehenden gesell– schaftlichen Zuständen machen mußte, an dieser Ausweitung des herrschaftsständischen Rahmenwerkes beteiligt. Nirgend– wo mußte sich ja auch der Glaube an einen gottgewoJiten „Beruf" stärker beengt und vergewaltigt fühle11, als bei der „vocatio", beim „ Ruf" Gottes zum geistlichen Stande oder Ordensleben, wenn sich ihm hier sogar die Schranken ständischer Bindungen und Vorurteile hindernd in den Weg stellten. Gegen diese Exklu– sivität der Herrenstände, insbesondere gegen die brutale Härte des Gegensatzes zwischen freier und unfreier Geburt, dringen in späteren Jahrhunderten langsam nicht nur gewisse Milderungen sowohl für die Ehe der Unfreien, wie auch für die Aufnahme in den Klerikerstand und ins Kloster durch. Sondern sogar da, wo die Kirche den Herrschaftsbau der mittelalterlichen Gesell– schafts- und Staatsordnung unmittelbar mit tragen half, hat sie ihre Freiheit in der Auswahl der in ihren Dienst zu Berufenden 1 Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft 260.

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