Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 70 - im Besitze der Produktionsmittel und des Kapitals, einer Mittel– gruppe abhängiger aber noch im eignen Betriebe arbeitender Hilfsgewerbe und einer starken Unterschicht fast recht- und be– sitzloser proletarischer Handarbeiter aufwies 1 . Das Ergebnis ist eine Berufsethik, die aufs sorglichste bemüht ist, in der durchaus nicht einfachen Organisation der blühenden Wollfabrikation der Mediceerstadt jedes ihrer Glieder (membra) in seiner Funktion zu verstehen, in seiner sozialen Lage zu würdigen und in seinen besonderen Rechts- und Pflichtenkreis einzuweisen. Wohl zum erstenmale sind hier auch die mannigfachen neuen Berufe indu– striell-kapitalistischer Betriebsformen - Vorarbeiter, Zwischen– meister, Aufseher - einbezogen; aber auch vor den ethisch schwierig gelagerten Fragen des Großhandels und der Geld– wirtschaft schreckt Antoninus nicht zurück. Um so erstaunlicher ist es, daß Alfred Doren in seinen verdienstvollen Studien über die Florentiner Wollindustrie den Satz glaubt verantworten zu können, die Kirche habe für das soziale Elend der ausgebeuteten Opfer dieses Frühkapitalismus nur ihre caritative Armenfürsorge als Hilfe und Heilmittel angeboten: ,, ... nicht einen Anspruch der Arbeiter auf anständige Bezahlung ihrer Arbeit, auf freie Bewegung und Organisation, auf gleiches politisches Recht er– kannte sie an, sondern nur ein Anrecht der Armen auf Almosen– spende und Liebesdienste der christlichen Caritas 2 ." Sein Urteil läßt sich nur dadurch erklären, daß er den Florentiner Erzbischof und sein großes Moralwerk trotz seiner Bedeutung auch für die Wirtschaftsgeschichte völlig übersehen hat. Denn im Gegenteil bezeugt es fast jede Seite der vorsichtig abgewogenen und auf genauester Kenntnis der Fabrikations- und Handelstechnik beruhenden Darlegungen Antonins, daß er sich nirgendwo mit einem lahmen Hinweis auf Barmherzigkeit und Wohltun be– gnügt, sondern gerade die elementaren Forderungen der Gerech– tigkeit und die Pflicht der Wiedererstattung seitens der Arbeit– geber auch da mit Nachdruck vertritt, wo sich offenbares Unrecht hinter scheinbar legalen Formen und Wirtschaftssitten verbirgt. Lohndruck durch die Zwischenmeister, ausbeuterische Löhnungs– methoden durch Auszahlung in überteuerten Lebensmitteln und 1 Summa theol. III, Tit. V-VIII. Dazu: C. Ilgner, Die volkswirtschaft– lichen Anschauungen des Antoninus von Florenz (1389-1459), 8. Erg.-Bd. zur Zeitschrift f. Philoso;:ihie und spekulative Theologie, Paderborn 1904. 2 Die Florentiner Wollindustrie, a. a. 0. 478 f.

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