Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 69 - Funktion im Ablauf des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Getriebes, wie Holl meint. Wenn auf demselben Acker, heißt es sogleich weiter, der eine die Ähren sammelt, um Geld zu ver– dienen, der zweite, um Garben zu stehlen und der dritte, um Buße zu tun, so ist dieselbe Arbeit innerlich ebenso verschieden, wie Lohn und Strafe, die solchem Tun folgen werden. Keine nützliche Betätigung aber ist verächtlich; selbst dem beschei– denen Wirken der Frau widmet der Bischof hier ein anerken– nendes Wort. Hat doch Christus selbst es nicht verschmäht, von dem zu leben, was Joseph der Zimmermann mit seiner Hände Arbeit verdiente 1 . Fast noch länger und buntfarbiger ist der Zug der Gestalten, die im Schachbuche des Jakob von Cessolis auf dem Spielbrett auftreten, das den Schauplatz dieser Welt darstellt. Das auf– blühende Städtewesen Oberitaliens gab hier wohl die Vorbilder her. Hier sind auch die selteneren Berufe nicht vergessen: die Handelsleute und Geldwechsler, die Ärzte und Notare, die Herbergswirte und Stadtwächter. Jedem wird das Zauberglas vorgehalten, in dem er sehen muß, was er sein sollte und doch allzu oft nicht ist. In den früher genannten deutschen Bear– beitungen wird gerade der Teil, der von den bescheidenen bürger– lichen Berufen handelt, durch zahlreiche Zusätze und Einfü– gungen erweitert, so daß bis zum Gerber und Schuster, bis zum Kürschner und Hutmacher, zum Schenkwirt und Bartscherer keine Figur der deutschen Kleinstadt fehlt. Konrad von Ammen– hausen gibt für den Müller sogar noch ein eignes Kapitel hinzu. Dafür tritt anderes zurück, was die Vorlage aus der gewerbe– reichen Lombardei mitbrachte. Mitten in dem Wirtschaftsleben dieser oberitalienischen Stadtstaaten, das seit dem Ende des 14. Jahrhunderts bereits in voller Umbildung zu kapitalistischen Formen mit allen ihren Licht- und Schattenseiten begriffen war, steht dann 150 Jahre später wiederum die Moraltheologie des Erzbischofs Antoninus von Florenz (t 1459). Hier liegt der erste Versuch vor, eine Wirtschaftsverfassung dem christlichen Moralgesetz zu unter– werfen, die zwar durch alle Berufe hindurch noch zünftig orga– nisiert war, in ihrer Struktur aber schon die vollendete Klassen– scheidung zwischen einer Herrenschicht von Unternehmern 1 Serm. vulg. 60 und 61 (Pitra, a. a. 0. 435 ff.).
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