Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 68 - schreiber im letzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts seine Studien machte, und leuchtet in ebenso frischen Farben, wie die köstlichen Miniaturen gleichzeitiger französischer Handschriften, die ähn– liche Szenen aus dem Leben festhalten. Der Grundton ist nicht selten bitter, und die Schärfe der Sprache gegenüber den Zu– ständen in Welt und und Kirche, wie sie in manchen Teilen seiner historischen Schriften hervortritt, fehlt auch in dieser schonungs– losen Charakteristik gewisser Berufe (Advokaten, Richter) nicht, die freilich auch anderswo kaum glimpflicher davonkommen 1 . Aber dieser leidenschaftliche Eifer entspringt bei ihm einer über– aus idealen Auffassung der irdischen Stände und Berufe. Er vergleicht sie anderswo geradezu mit den „regulares", den „Ordens"leuten. Nicht nur diejenigen, die der Welt entsagen und Mönch werden, sollten so heißen, sondern alle, die nach der „Regel" des Evangeliums und unter Christus, dem höchsten Abte, leben. Seine Regel hat der Klerus und ist an die Vor– schriften seines „ordo" gebunden. Einen „ordo" mit eigner ,,regula" bilden die Eheleute, die Witwen und Jungfrauen. Aber auch die Ritter, die Kaufleute, Bauern und Handwerker unterstehen samt und sonders der Satzung ihres Standes und bilden insgesamt, je nach den ihnen verliehenen Gaben, den aus den einzelnen Berufen (officia) wie aus verschiedenen Gliedern und Menschen verschiedenen Antlitzes gebildeten Leib der Christenheit, dessen Haupt Christus selbst ist 2 • ,,Wer immer daher in der Meinung und Gesinnung seine Arbeit tut, die ihm von seinem Hohenpriester auferlegte Bußleistung hienieden zu erfüllen, erwirbt sich kein geringeres Verdienst als diejenigen, die den ganzen Tag über in der Kirche singen, oder nächtlicher– weile ihr Chorgebet verrichten. Denn viele arme Ackersleute sah ich, die durch ihrer Hände Arbeit Weib und Kind ernährten und mehr arbeiteten, als die Mönche in ihren Klöstern und die Geistlichen in ihren Kirchen. Und wenn sie das in der rechten Meinung und Liebe tun, verdienen sie sich das ewige Leben. Wenn sie aber wie das vernunftlose Tier nur arbeiten, um zu essen und zu trinken, haben sie ihren Lohn hienieden schon dahin." Also bestimmt die rechte Gesinnung den Wert der Leistung, durchaus nicht nur das Werk an sich und seine äußere 1 Vgl. Linner, Bildungszustände usw., a. a. 0. 37 ff. und Schnürer, a. a. 0. II, 336. 2 Historia occidentalis ed. F. Moschus, Duaci 1597, 357.

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