Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 67 - Christenheit, weil ihr sie nährt und tragt". Wohl stehen an erster Stelle die Pflichten gegen Gott und die Kirche. Gott wird sich wiederholen, was man ihm durch Verweigerung von Zins und Zehnten vorenthält - ob durch Unwetter und Mißernte, oder durch die Hand des Kriegers oder Räubers. Aber auch der– jenige ist ihm verantwortlich, der dem gesetzmäßigen irdischen Herrn den Gehorsam versagt, in betrügerischer Weise die Grenz– steine seines Ackers verrückt, das Gras zur Unzeit mäht und den Baum vorzeitig freventlich fä!Jtl. Vermißt man in solchen früheren Zeugnissen noch einigermaßen die positive Bewertung der beruflichen Betätigung und die Berücksichtigung des städ– tischen Bürgertums - nur die Kaufleute, die VoJlbürger der ersten Stadtbesiedelung, werden erwähnt und zur Ehrlichkeit und Vertragstreue ermahnt-, so führt schon das 13. Jahrhundert in eine geistig weit beweglichere und wirtschaftlich fortgeschrit– tenere Umwelt hinein. Das vollentwickelte hoch- und spätmittel– alterliche Stadtleben steht im Hintergrunde der Ständeethik eines Jakob von Vitry, Humbert von Romans, Alanus von LiJle, Antoninus von Florenz und anderer, die Studium und Beruf in die großen Zentren der Wissenschaft und des Verkehrs führten. Um 1226 mögen die 75 „Sermones vulgares" des Kreuz– predigers und Bischofs von Akkon, Jakob von Vitry, geschrieben sein. Welch bunte Reihe von städtischen Gewerben und Berufen jeglicher Art tritt hier auf den Plan! Von den Prälaten, Kano– nikern, Klerikern und Mönchen, den Scholaren der hohen Schulen, den Adeligen und Rittern bis zu den Bauern und zünftigen Handwerkern, den Goldschmieden undApothekern 2 , den Fleischern und Leinenverkäufern, den Pferdehändlern und Schankwirten, den Taschendieben und aufgeputzten Dirnen. Und welche Lebensnähe in der Schilderung ihrer groben Standesfehler und kleinen Betrügereien auf dem Felde, in der Werkstatt und auf dem Markte! Das alles ist wohl mit eignen Augen in Paris beob– achtet, wo der weltbefahrene und weltkundige Geschichts- 1 Speculum Ecclesiae (Migne PL. 172, 814 ff.). Dazu Joh. Keiles „Spe– rnlum" und die Untersuchungen Schönbachs in: Sitzungsberichte der k. Akademie tier Wissenschaften, Phil.-hist. KI. Bd. 135. :i Die Berufsethik dieser Standespredigten ist z. B. auch übersehen in der Einleitung zu Alfr. Schmidt, Die Kölner Apotheken (Veröffentlichungen des Köln. Geschichtsvereins 6), Köln 1931.

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