Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 65 - l J. Januar 1147 vor der Kölner Geistlichkeit gehalten hat, um sie wegen ihres wenig kirchlichen Wandels zur Rechenschaft zu ziehen. Bernhard wirft ihr vor, daß sie von jedem Stande die Ehre und die Annehmlichkeiten für sich in Anspruch nehme, ohne mit ihm auch die Mühe und die Arbeit zu teilen. Dann schließt er: ,,Wenn nun einmal die Menschen auferstehen, ein jeglicher in seinem Stande" ~ eine charakteristische Umdeutung von 1. Kor. 15, 23 - welcher Platz wird dann diesem geistlichen Geschlechte angewiesen werden? Werden sie sich zu den Rittern gesellen, oder zu den Bauern oder zu den Kaufleuten? Diese alle werden sie abweisen, weil sie keine Not und Mühe mit ihnen trugen. Und damit ist ihr Schicksal besiegelt. ,,Was bleibt also übrig? Denen, die jeder Stand ebenso entschieden abweist wie anklagt, wird der Ort zufallen, wo keine Ordnung, sondern ewiges Grauen wohnt. " 1 c) Etwa vom Beginn des l 3. Jahrhunderts an, zugleich mit der schnell zunehmenden Differenzierung im sozialen und wirt– schaftlichen Leben, macht sich das Bedürfnis nach einer christ– lichen Berufsethik auch für die breiteren Volksschichten fühlbar, die man bis dahin noch mehr oder minder summarisch als die ,,dienenden" Stände den herrschenden gegenübergestellt hatte. Denn deutliche Spuren von religiöser und sittlicher Verwahr– losung traten besonders in den Städten hervor, wo die Seelsorge mit dieser Entwicklung nicht Schritt hielt. Das Erscheinen der „Standesreden" in der Predigtliteratur, die augenscheinlich dem Bedürfnis nach engerer Verknüpfung der religiös-sittlichen Be– lehrung mit der besonderen persönlichen Lebenslage der Hörer entspringen und geeignetes Material dafür bereitsteJlen woJlen, während die ältere deutsche Predigt eine derartige Individuali– sierung noch gar nicht kennt, ist ein deutliches Symptom dieser Wandlungen 2 • Merkwürdigerweise haben auch sie bisher noch verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden, obwohl sie nament- 1 Das Wortspiel ordo = Stand und ordo = Ordnung ist i:1 der Übersetzune.; nicht wiederzugeben. 2 Bereits mehrfach erwähnt wurden der „Senno generalis" des Honorius Augustodunus aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts (Speculum Ecclesiae, Migne PL 172, 862 ff.), Alanus ab Insulis t 1203, Jakob von Vitry t 1240, Humbert de Romanist 1277. Über andere, wie Guibert von Tournai, Jakob von Soest, Johann von Quedlinburg vgl. Ant. Linsenmayer, Geschichte der Predigt in Deutschland, München 1886; A. Lecoy de la Marche, La chaire francaise au

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