Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 60 - sich aber, wie wir sogleich noch hören werden, auch die Vor– nehmen und die Kleriker sagen lassen, daß ihre gesellschaftlichen Ansprüche auf tönernen Füßen stehen, sobald ihnen nicht eine gleichwertige gesellschaftliche Leistung entspricht. Als menschliche Betätigung gewertet und mit dem Maß– stabe der Bedeutung für das menschliche Gemeinschaftsleben gemessen, mußte dadurch auch die Handarbeit zu einem Range aufrücken, den sie weder in der Antike noch in der Vorzeit der germanischen Völker je innegehabt hatte, zumal das Christentum selbst aus seiner Verwurzelung im Alten Testament und aus der sozialen Umwelt, in der seine Anfänge standen, eine unge– wöhnliche Hochschätzung körperlicher Arbeit mit in die abend– ländische Kulturwelt hineinbrachte. Leop. Ziegler 1 weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Ordensregel des hl. Benedikt hin und bemerkt mit Recht, diese wäre noch un– endlich viel größer gewesen, wenn es hätte gelingen wollen, auch in den vornehmen Ständen der jungen Völker die ererbte und fast bis an die Schwelle der neueren Zeit fortgepflanzte An– schauung zu überwinden, daß nützliche Arbeit schände und nur Krieg und Jagd, Spiel und vornehmes Nichtstun dem Edelmann zieme. In außerordentlich geschickter Weise wußte die mittel– alterlich-christliche Arbeitsethik die soeben erwähnte Verknüp– fung der Arbeit mit den Wesensanlagen der menschlichen Per– sönlichkeit auch dadurch herzustelJen, daß sie das „Berufensein" und den „Beruf" zwar mittelbar von Gott, unmittelbar aber aus den besonderen Anlagen, Neigungen und Fertigkeiten her– leitete, die Gottes ordnende Vorsehung dem einzelnen Menschen einschut. Die Arbeitslehre des hl. Thomas betont das sehr nach– drücklich2; aber auch Alexander v. Haies und Albert d. Große, seine unmittelbaren Vorgänger, verwerten bereits diesen Ge– danken, und noch am Ausgang des Mittelalters bringt ihn Werner Rolevinck seinen schwerbedrängten Bauern nahe. So konnte man auch dem auf der Schattenseite des Lebens Stehenden und zu mühseliger Fron Verurteilten mit einigem Rechte sagen, daß ihm „seine" Arbeit zuteil geworden sei. Sein Los vedor dadurch wenigstens etwas von der Trostlosigkeit blinder Schicksalswillkür und erschien als Bestandteil einer sittlichen Ordnung, die das Wohl aller will, ohne aber darüber den einzelnen zu vergewaltigen. 1 Leop. Ziegler, Zwischen Mensch und Wirtschaft, Darmstadt 1927, 219 f. 2 J. Haessle, Das Arbeitsethos der Kirche, a. a. 0. 134 ff.

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